Mittwoch, 12. Februar 2025

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Kol­laps nach dem Ziel­ein­lauf

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Prof. Dr. med. Atil­la Yil­maz, Chef­arzt der Kli­nik für Kar­dio­lo­gie, Angio­lo­gie und Inten­siv­me­di­zin (Foto: Heli­os Kli­nik Atten­dorn)

Eigent­lich hat­te Eva Brod­korb alles rich­tig­ge­macht vor dem Atten­dor­ner City­lauf Ende Mai. Die Berufs­schul­leh­re­rin ist sport­lich, läuft regel­mä­ßig drei bis vier­mal pro Woche und stärkt ihre Kraft­aus­dau­er in einem Fit­ness-Stu­dio. Spa­zier­gän­ge mit dem Labra­tor-Retrie­ver Aki­ro gehö­ren zur täg­li­chen Rou­ti­ne.

Wäh­rend zwei Frei­wo­chen vor dem Start­schuss berei­tet sie sich mit mode­ra­tem Trai­ning gewis­sen­haft auf ihre ers­te Teil­nah­me an einem Wett­lauf über­haupt vor. Sie lässt sich sogar in einer spe­zia­li­sier­ten Sport­kli­nik unter­su­chen, die ihr eine abso­lu­te Fit­ness- und Wett­kampf­taug­lich­keit attes­tiert. Ein Leben ohne Bewe­gung kann sich die ath­le­ti­sche 56-Jäh­ri­ge nicht vor­stel­len. „Ich bin kein Mensch, der ruhig sit­zen kann. Den Sport brau­che ich für mei­nen inne­ren Aus­gleich“, sagt Brod­korb über sich selbst.

Kol­laps nach dem Ziel­ein­lauf

28,59 Minu­ten benö­tigt sie für die 5.000-Meter-Strecke ent­lang des Stadt­walls. Das Höhen­pro­fil ist mode­rat mit nur weni­gen leich­ten Stei­gun­gen. Trotz­dem fühlt es sich für die durch­trai­nier­te Frau so an, als gin­ge es nur steil berg­auf. Schon kurz nach dem Start ist alles unge­wohnt und anders als sonst. „Die Tem­pe­ra­tur war an die­sem Tag lan­ge kühl, zum Nach­mit­tag wur­de es aber plötz­lich warm. Und dann das Gedrän­ge und Geschie­be am Start. Das hat­te ich so nicht erwar­tet.“ Cir­ca 200 Läu­fer aller Alters- und Leis­tungs­klas­sen, von ambi­tio­niert bis Anfän­ger, ver­su­chen für sich gleich eine idea­le Posi­ti­on in der Mas­se zu fin­den. Rück­sicht? Fehl­an­zei­ge. Eva Brod­korb wird von allen Sei­ten gescho­ben, spürt Fuß­trit­te an ihren Knö­cheln, Schub­ser im Rücken. Sie beginnt sich sehr unwohl zu füh­len, denkt kurz dar­über nach, ein­fach auf­zu­hö­ren. Aber der Ehr­geiz ist stär­ker. Sie schwimmt wei­ter mit im Getüm­mel. Das Ziel erreicht sie, aber der Preis ist hoch. Sie bricht mit Übel­keit, Brech­reiz und Schwin­del zusam­men. Ihr Sohn ruft einen Not­fall­sa­ni­tä­ter.

„Zum Glück ging alles ganz schnell und der Ret­tungs­wa­gen brach­te sie nach der Erst­ver­sor­gung gleich zu uns in die Zen­tra­le Not­auf­nah­me. Das EKG war zu die­sem Zeit­punkt noch unauf­fäl­lig. Zunächst bestand der Ver­dacht, dass Frau Brod­korb sich über­las­tet und zu wenig Flüs­sig­keit zu sich genom­men haben könn­te, und des­halb der Blut­druck anfäng­lich so nied­rig war. In der Labor­kon­trol­le zeig­te sich jedoch der Enzym­wert für das Herz unnor­mal erhöht“, so Dr. Atil­la Yil­maz, Chef­arzt der Kar­dio­lo­gie an der behan­deln­den Heli­os Kli­nik Atten­dorn. Die­ser Umstand ließ den erfah­re­nen Herz­me­di­zi­ner hell­hö­rig wer­den. Zur Absi­che­rung führt er eine Herz­ka­the­ter-Unter­su­chung durch. 

Die­se brach­te einen klei­nen Ein­riss der Herz­kranz­ge­fäß­in­nen­haut ans Tages­licht. „Die­ser Riss führ­te bei Frau Brod­korb zu einer Durch­blu­tungs­stö­rung des Herz­mus­kels und in der Fol­ge zu einem Herz­in­farkt“, erklärt Dr. Yil­maz. Wie ist das zu erklä­ren? „Bei sport­li­cher Belas­tung kommt es zu einer mehr als vier­fach erhöh­ten Koro­nar­durch­blu­tung. Das erzeugt enor­men Druck auf die Gefäß­wand, die die­sem an prä­dis­po­nier­ten Stel­len nicht immer stand­hält und ein­rei­ßen kann. In die­sen Fäl­len kann es, wie bei unse­rer Pati­en­tin zu einer Koro­nar­ver­en­gung oder sogar zu einem Koro­nar­ver­schluss und dar­aus resul­tie­rend zu einem Herz­in­farkt kom­men

Zum Glück für Frau Brod­korb wird das Pro­blem schnell erkannt und der Ein­riss mit einem soge­nann­ten Koro­nars­tent ver­sorgt. Die gan­ze Pro­ze­dur dau­ert kaum 30 Minu­ten, die Beschwer­den sind danach ver­schwun­den. Am Fol­ge­tag zeigt sich im Herz-Ultra­schall kei­ne Schä­di­gung des Herz­mus­kels.

„Wann kann ich wei­ter­trai­nie­ren?“ So lau­tet ihre ers­te Fra­ge nach dem kar­dia­len Ein­griff. Die gute Nach­richt: Bereits eine Woche nach dem Abhei­len der Punk­ti­ons­stel­le am Hand­ge­lenk ist ein mode­ra­tes Trai­ning wie­der mög­lich.

Wett­be­werb erzeugt men­ta­len Druck

Eine durch­trai­nier­te Per­son und dann so ein Kol­laps? Wie passt das zusam­men? Für Dr. Yil­maz ist das nichts Unge­wöhn­li­ches. „Frau Brod­korb hat sich vor­bild­lich vor­be­rei­tet. Aber sol­che Zusam­men­brü­che sind auch bei Brei­ten­sport-Events durch­aus ein The­ma. Das liegt dar­an, dass die Rah­men­be­din­gun­gen und der Druck bei Wett­be­wer­ben ganz ande­re sind, als wenn man nach Fei­er­abend mit dem Hund durch den Wald joggt“, so Yil­maz.

Er betont zwar, dass Sport grund­sätz­lich gesund und eine gute Sache sei, regel­mä­ßi­ge Bewe­gung auch das Risi­ko einer koro­na­ren Herz­krank­heit ver­rin­ge­re. Die Wett­be­werbs­si­tua­ti­on unter­schei­de sich davon jedoch erheb­lich. „Die Teil­nah­me kann selbst bei fit­ten, aber uner­fah­re­nen Läu­fern Stress aus­lö­sen, was sich dann wie­der­um auf die kör­per­li­che Kon­sti­tu­ti­on aus­wirkt.“

Bele­ge dafür gibt es zuhauf. Je nach Unter­su­chung ster­ben sogar zwi­schen 0,7 und drei Men­schen auf 100.000 Sport­trei­ben­de pro Jahr in Deutsch­land*. Beson­ders betrof­fen sind Sport­ar­ten wie Tri­ath­lon, Fuß­ball oder Lau­fen. Ein pro­mi­nen­tes Bei­spiel hier­für ist zum Bei­spiel der däni­sche Fuß­bal­ler Chris­ti­an Erik­sen. Die Bil­der sei­nes Zusam­men­bruchs und der anschlie­ßen­den erfolg­rei­chen Wie­der­be­le­bung bei einem EM-Spiel gegen Finn­land gin­gen im Jahr 2021 um die Welt.

*Quel­le: Deut­sche Herz­stif­tung

So schlimm trifft es Eva Brod­korb nicht. Nach zwei Tagen sta­tio­nä­rer Behand­lung kann sie das Kran­ken­haus wie­der ver­las­sen. Da Dia­gno­se und Behand­lung zeit­nah und ziel­ge­nau erfolg­ten, sind kei­ne blei­ben­den Ein­schrän­kun­gen zu erwar­ten. Aber das Kapi­tel Wett­kampf hat sie für sich abge­schlos­sen. „Das mache ich nie wie­der“, ist sie sich ganz sicher, und schiebt hin­ter­her: „Jeder soll­te gut auf sei­nen Kör­per hören und sich vor­ab hin­ter­fra­gen, ob er unter den Wett­kampf­be­din­gun­gen, die selbst auf Frei­zeit-Level schon extrem sein kön­nen, funk­tio­niert.

Fazit: Sport ist immer, für jeden und über­all per se gesund? Kommt dar­auf an. Wer – auch als trai­nier­ter Sport­ler – erst­mals in einem Wett­kampf sei­ne Kräf­te mit der Kon­kur­renz misst, soll­te sich über die beson­de­re Situa­ti­on im Kla­ren sein. Und dar­über, was die­se für die Herz­ge­sund­heit bedeu­ten kann.

Ter­min:
Atten­dor­ner Medi­zin­ge­sprä­che: Herz­schwä­che erken­nen und han­deln
Wann: 27. Novem­ber, ab 17 Uhr
Wo: Heli­os Kli­nik Atten­dorn

Dr. Atti­la Yil­maz zu den The­men Stär­kung des Her­zens, Krank­heits­prä­ven­ti­on, The­ra­pie­mög­lich­kei­ten und vie­les mehr. Der Fach­me­di­zi­ner beant­wor­tet die Fra­gen von Betrof­fe­nen, Ange­hö­ri­gen und Inter­es­sier­ten rund um das The­ma.

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