Synodale unter Druck: Ein fataler Mechanismus nimmt den Evangelischen Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg in die Zange. Der ausbleibende Pfarrernachwuchs und ein bereits von der Landessynode beschlossenes Gesetz zur Freigabe von Pfarrstellen könnte dazu
führen, dass sich die Zahl der Pfarrstellen bis 2031 von derzeit 27 (ohne Einrechnung der kreiskirchlichen Stellen wie Schulpfarrer usw.) auf voraussichtlich 11,25 verringert. Gleichzeitig müssen sich die Synodalen mit der Einrichtung sogenannter Kooperationsräume befassen, in
denen sich Gemeinden zusammenschließen, um die seelsorgerische Versorgung sicherzustellen. Dazu kommt der Aufbau Interprofessioneller Pastoralteams (IPT), welche die wenigen verbliebenen Pfarrerinnen und Pfarrern in der Arbeit vor Ort unterstützen sollen.

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Superintendent Dr. Christof Grote und die Synode des Kirchenkreises sprachen sich mit großer Mehrheit dafür aus, am 2. September Sondertagung durchzuführen. Ziel müsse es dann sein, mit der zuständigen Personalreferentin der Landeskirche über künftige Planungen zu sprechen und hierbei eigene Vorschläge vorzulegen (Foto: EKKLP)


„Das ist ein Prozess, auf den wir uns einstellen müssen und der uns dauerhaft fordern wird“, sagte Superintendent Dr. Christof Grote bei der Tagung der Kreissynode am 21. Mai im Evangelischen Gymnasium Meinerzhagen. Von einer Lösung ist der Kirchenkreis allerdings noch weit entfernt. Mehrheitlich stimmte die Synode lediglich dem Vorschlag zu, eine Sondertagung am 2. September durchzuführen und dort zusammen mit Oberkirchenrätin Katrin Göckenjan-Wessel über künftige Planungen zu sprechen. Katrin Göckenjan-Wessel ist die zuständige Personalreferentin der Landeskirche. Die Synodalen hoffen, dass sie mit Verweis auf die Besonderheiten des ländlich strukturierten Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg Änderungen herbeiführen können.


Noch können sich nur wenige Synodale vorstellen, welchen Weg die Arbeit der Pfarrerinnen und Pfarrer in den nächsten Jahren nehmen wird. Ob eine Mittelorientierung, wie sie Dr. Peter Böhlemann in seinem Vortrag „Hoffnung für Kirche in fragilen Zeiten“ unter anderem empfahl, die Lösung ist? Der Leiter des Instituts für Aus-, Fort- und Weiterbildung der Ev. Kirche von Westfalen zeigte auf, dass Kirche in seiner Geschichte immer im Wandel gewesen sei. Dazu machte er deutlich, dass neue Herausforderungen auch immer Chancen mit sich brächten. Die Kirche stehe sehr herausfordernden Zeiten gegenüber, die sie aber meistern könne. Böhlemann lehnte sich in seinem Vortrag an die Thesen der US-Professorin Saras D. Sarasvathy an.


Neben der Mittelorientierung hat die amerikanische Wissenschaftlerin drei weitere Prinzipien für erfolgreiche Führung formuliert. Dazu zählt die Frage nach dem leistbaren Verlust, nach Vereinbarungen und Partnerschaften sowie das Prinzip der Umstände und Zufälle. Auch
Unerwartetes könne danach als normal und als Chance für Innovation und Entwicklung angesehen werden.

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Assessor Martin Pogorzelski (links), der auch Vorsitzender des Struktur- und Perspektivausschusses im Kirchenkreis ist, blickte aus Sicht des heimischen Kirchenkreises und seiner 23 Kirchengemeinden während der Tagung mit großer Skepsis auf die zu erwartende Entwicklung. Den vorgegebenen Weg der Landeskirche, sollte der Kirchenkreis nicht mitgehen (Foto: EKKLP)


Assessor Martin Pogorzelski, der auch Vorsitzender des Struktur- und Perspektivausschusses im Kirchenkreis ist, blickte aus Sicht des heimischen Kirchenkreises und seiner 23 Kirchengemeinden während der Tagung mit großer Skepsis auf die zu erwartende Entwicklung. Pfarrstellenbesetzung nach einem rein mathematischen Schlüssel sei keine Lösung. Das sei eher ein „Pfarrer-Burnout-Programm“. Denn nach dem Programm der Landeskirche werde es ab 2031 nur noch eine einzige Kirchengemeinde im Kirchenkreis geben, die über eine Vollzeitstelle für eine eigene Pfarrerin oder einen eigenen Pfarrer verfüge. Es sei die Pflicht der Kirchenleitung, einen anderen Weg zur
künftigen Pfarrstellenbesetzung zu suchen.


Zur Verdeutlichung: Die Landessynode hatte 2021 beschlossen, bis 2025 Pfarrvollzeitstellen ab einer Gemeindegliederzahl von 3000 freizugeben. Ab 2026 soll sich dieser Schlüssel auf 4000 Gemeindeglieder erhöhen und ab 2031 soll eine Pfarrvollstelle für über 5000 Gemeindemitglieder zuständig sein.


Welche drastischen Folgen dieses Vorhaben hat, verdeutliche Martin Pogorzelski mit konkreten Zahlen an zwei Beispielen. Dabei zeigte er die umfassenden Veränderungen der geplanten Kooperationsräume 2 (Plettenberg, Eiringhausen, Ohle und Herscheid) und 8 (Lüdenscheid
Versöhnungskirche, Brüninghausen und Kreuzkirche) in den nächsten Jahren mit dem Hinweis: „Diese Spannungen und personelle Konsequenzen sind in allen Kooperationsräumen vorhanden.“


Diese Entwicklung, fürchtet er, „mache die Menschen und die Gemeinden kaputt.“ Und weiter: „Es gibt keine Alternative, als die Ortsgemeinden zu stärken. Sie werden kreativ, wenn man sie nur lässt.“ Dazu sei allerdings ein Umdenken in den kirchlichen Leitungsgremien notwendig. „Korridore und Zahlen sind Gestaltungsmerkmale der Vergangenheit“, stellte Martin Pogorzelski fest. „Diesen
Weg sollten wir nicht mitgehen.“


Muss pfarramtlliche Versorgung immer flächendeckend sein?
Kreissynode in Meinerzhagen, kurz nach 13 Uhr: Pfarrer Steffen Pogorzelski packt seine Sachen und verlässt den Tagungsraum im Ev. Gymnasium. Dringende Amtsgeschäfte. Unaufschiebbar. Eine Vertretung konnte er nicht organisieren. Das könnte in Zukunft immer wieder passieren. Auch in anderen Situationen. Pfarrerinnen und Pfarrer werden im Ev. Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg zur kostenbaren Mangelware. 2031 stehen deutlich weniger Gemeindepfarrerinnen und -pfarrer zur Verfügung als heute. Die Gründe sind bekannt.

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Pfarrer Steffen Pogorzelski (Mitte) nutzte die Möglichkeit, sich nach dem Vortrag von Dr. Peter Böhlemann mit dem Referenten auszutauschen. Pogorzelski ist wie Mathea Dieker (links) Mitglied einer Gruppe, die sich konkret über die Zukunft im Kirchenkreis über 2031 hinaus intensive Gedanken macht. Als junge Geistliche des Kirchenkreises sind sie von den langfristigen Veränderungen persönlich betroffen (Foto: EKKLP)


„Ich hätte dazu gern noch im Plenum etwas gesagt“, sagt der junge Geistliche. Er und einige Kollegen werden am eigenen Leib erleben, wie sich ihre Arbeit in den Gemeinden bis 2031 und vor allem danach verändern wird. Die Anpassung der Pfarrstellen und die von der Landeskirche initiierten Interprofessionellen Pastoralteams beschäftigen die jüngeren Pfarrstelleninhaberinnen und -inhaber schon länger. Sie haben eine Reihe von Gesprächen geführt. Bei der Kreissynode wurde ein Papier verteilt, in dem die Geistlichen, die voraussichtlich auch 2031 und danach noch im Dienst sein werden, ihre Gedanken zusammengefasst haben.


In den Interprofessionellen Pastoralteams (IPTs) aus unterschiedlichen Berufsgruppen, die im Bereich der pastoralen Arbeit nach und nach an die Stelle von Teams treten, die bislang ausschließlich aus Pfarrerinnen und Pfarrern bestanden, sehen sie grundsätzlich eine Chance.
Kritisch sehen sie das Thema Bezahlung: Verschiedene Gehälter bei gleicher Arbeit erschweren das Arbeiten auf Augenhöhe. Ist das gerecht?, heißt es in dem Papier. Auch die Frage danach, wer künftig als das Gesicht der Gemeinde angesehen werde, bringt die jungen Pfarrerinnen und Pfarrer ins Grübeln. „Bisher haben sich die Gemeinden stark über ihre/n Ortspfarrerin bzw. Ortspfarrer identifiziert“, schreiben sie.


Zum Thema „Pfarramtliche Versorgung“ führen sie Erhebungen an, die belegen: Die Zugehörigkeit der Menschen zur Ortsgemeinde stehe und falle über die Identifizierung mit der Ortspfarrerin oder dem Ortspfarrer. „Warum wird dieses Prinzip ausgehöhlt?“ fragen sie und stellen fest: „Besser eine lebendige Gemeinde als drei pfarramtlich mit dem Nötigsten versorgte.“


Auch die Frage nach dem geistlichen und theologischen Hintergrund für die flächendeckende pfarramtliche Versorgung rein nach Korridorzahlen beschäftigt die jüngeren Pfarrerinnen und Pfarrer.


Zudem fürchten sie um die Freiheit des Pfarrberufs? Was geschehe beispielsweise mit der Gestaltungsfreiheit in den Gemeinden vor Ort, wenn die Verwaltungseinheiten immer größer würden, fragen sie.


Veränderte Rahmenbedingungen könnten die Gestaltung von Kirche und Gemeinde erleichtern, „ohne sie in das Korsett der Korridorzahlen zu zwingen.“ Sie schlagen vor, den Zugang zum Pfarrberuf einfacher zu gestalten. So könnten Gemeinden mit Hilfe von Fördervereinen selbst Pfarrstellen finanzieren. Kooperationsräume sollten sich nicht nur an räumlichen Kriterien orientieren. Sie sollten vielmehr vor dem Hintergrund inhaltlicher Nähe eingerichtet werden. Weiterhin stellen sie die Frage nach Alternativen zur flächendeckenden pfarramtlichen
Versorgung.


Finanzsatzung soll überarbeitet werden
Bernd Göbert, Verwaltungsleiter des Kreiskirchenamtes stellte auf der Kreissynode die ersten Überlegungen zur Änderung der Finanzsatzung des Evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg vor.

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Bernd Göbert, Verwaltungsleiter des Kreiskirchenamtes stellte auf der Kreissynode des Evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg, ersten Überlegungen zur Änderung der Finanzsatzung vor (Foto: EKKLP)


Die aktuelle Finanzsatzung stammt aus dem August 2007. „Seither haben sich viele Aufgaben in unserem Kirchenkreis verändert“, stellte Bernd Göbert fest. So seien Anpassungen mit Blick auf die künftige Besoldung der Pfarrerinnen und Pfarrer sowie der Stellen im Bereich der
Interprofessionellen Pastoralteams notwendig.


Vorstellbar sei auch eine Ausgliederung des Betriebs „Alter Leuchtturm“, dem Kur- und Freizeithaus auf Borkum, in eine gemeinnützige GmbH.


Nachgedacht werde auch über Anpassungen, die das Diakonische Werk im Kirchenkreis betreffen, erläuterte der Chef der Verwaltung weiter. Ziel sei es, die Grundlagen der Finanzierung diakonischer Aufgaben transparenter zu gestalten, beispielsweise durch prozentuale Zuweisungen aus der Finanzausgleichkasse. Damit einher gehen könnte eine Anpassung der Leitungsstruktur mit möglicherweise mehr Vollmachten für die Geschäftsführung des Diakonischen Werkes. Der Verwaltungsleiter des Kreiskirchenamtes betonte bei der Tagung in Meinerzhagen, dass bislang noch kein fertiges Konzept vorliege, sondern dass es sich bei diesen Vorschlägen nur um erste Überlegungen handele.

@EKKLP

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