Donnerstag, 23. Januar 2025

Top 5 der Woche

Ähnlich

„Ich hab kei­ne gro­ßen Wünsche…wofür?“

Auf dem Advents­kranz bren­nen die ers­ten Lich­ter und in den Schau­fens­tern der Han­se­stadt glit­zern die gol­de­nen Engel in Erwar­tung guter Umsät­ze. Auch wenn Coro­na die Stim­mung drückt, lässt das bal­di­ge Fest der Lie­be hof­fen auf bes­se­re Tage. Dass die vor­weih­nacht­li­che Stim­mung aller­dings ver­schie­de­ne Gesich­ter haben kann, zeigt nicht zuletzt der Andrang bei der Atten­dor­ner Tafel. Trotz Käl­te und Schnee­re­gen war­ten hier jede Woche Jung und Alt mit Abstand hin­ter dem Sozi­al­zen­trum „lebens­froh“ auf gespen­de­tes Essen. Wie fühlt sich das vor Weih­nach­ten für die an, die nicht auf der Son­nen­sei­te ste­hen? – Eine Moment­auf­nah­me.

Der Han­se­stadt geht es gut. Zumin­dest bei Betrach­tung der Sta­tis­tik spre­chen die Zah­len eine deut­li­che Spra­che: Das ver­füg­ba­re Ein­kom­men der pri­va­ten Haus­hal­te je Ein­woh­ner in Atten­dorn-Stadt – 2017 erho­ben – beträgt knapp unter 40000 Euro (IT.NRW-Landesdatenbank). Auf NRW-Ebe­ne liegt die­ser Wert pro Kopf zu die­ser Zeit nur zwi­schen 20- und 25000 Euro. Also – alles super hier im Sau­er­land? Nicht ganz, denn immer­hin sind auch im Janu­ar 2019 etwa 7 Pro­zent – oder jeder 14. – in Atten­dorn auf Sozi­al­hil­fe, Hartz IV, Leis­tun­gen für Asyl­be­wer­ber und Wohn­geld ange­wie­sen. Beson­ders hart trifft es aktu­ell in die­sen Tagen arme und älte­re Men­schen, die durch die Aus­wir­kun­gen der Pan­de­mie nun auch kaum mehr vor die Tür kom­men. Eine von ihnen ist Kla­ra M. (Name geän­dert).

Als die freund­li­che alte Dame mir die Woh­nungs­tür zum Inter­view öff­net, ist sie guter Lau­ne. Die Nach­ba­rin ist spon­tan auf einen Sprung vor­bei­ge­kom­men. „Auf ein Schwätz­chen“, sagt sie. Der quir­li­ge Misch­lings­hund tanzt um die Bei­ne. „Wir trin­ken ab und an und mal einen Kaf­fee zusammen,“erzählt die Senio­rin, lässt sich in den schwe­ren Stoff­ses­sel aus den Acht­zi­gern fal­len und greift zum Schlauch vom Sau­er­stoff-Beatmungs­ge­rät. „Alles zu viel heu­te…“ Der Nach­ba­rin ist der Besuch pein­lich – sie geht mit Hund. Das Wohn­zim­mer hat Stamm­plät­ze. Für die drei gro­ßen Plas­tik-Pup­pen und Kis­sen mit Häkel­rand auf dem Sofa, den Wäsche­stän­der im Hin­ter­grund und die vie­len Medi­ka­menten­päck­chen auf dem Tisch. „Ich muß 36 Tablet­ten am Tag neh­men…“ Viel Deko und Nip­pes-Kram für den klei­nen Raum. Durch die Gar­di­nen kann man den Rasen sehen.

Leicht hat es Kla­ra, die in Olpe gebo­ren ist, nie gehabt. Als Kind mit fünf Geschwis­tern und einem Vater, der oft krank war, gab es kaum Platz für Träu­me. „Wir waren ganz arm zuhau­se. Es gab kein Fern­se­hen, kei­nen Kühl­schrank. Wir hat­ten gar nichts“, erin­nert sie sich, und nach der Schu­le in Dumi­cke drück­ten ihr die Eltern dann auch direkt die Kof­fer in die Hand. Im Atten­dor­ner St. Bar­ba­ra Kran­ken­haus fing sie mit 14 Jah­ren als Putz­hil­fe an zu arbei­ten. Anschlie­ßend ging es auf einen Bau­ern­hof, wo die jun­ge Frau Pfer­de- und Schwei­ne­stäl­le aus­mis­ten muß­te, und mit 23 lern­te sie dann ihren Heinz (Name geän­dert) ken­nen. Einen Jun­gen und ein Mäd­chen brach­te Kla­ra auf die Welt, hielt den Haus­halt in Schuss, wäh­rend Heinz als Fern­fah­rer auf Ach­se war. Bald muß­te sie trotz der Kin­der wie­der Put­zen gehen, damit das knap­pe Geld für die klei­ne Fami­lie reicht. Oft arbei­te­te sie auch schwarz. Es sei nicht anders gegan­gen, erzählt sie. In die Ren­ten­kas­se ging damals nichts. „Mein Mann hat vie­le Autos kaputt gefah­ren. Das muß­te immer bezahlt wer­den. Naja…“ Nicht ein­mal in den gan­zen Jah­ren war die Fami­lie zusam­men im Urlaub. Manch­mal gab es nicht mal ein rich­ti­ges Wochen­en­de für alle, denn Papa arbei­te­te wochen­tags und am Sams­tag ging es für Kla­ra bis Sonn­tag­abend als Aus­hil­fe in eine Piz­ze­ria.

Kurz vor dem Ruhe­stand ent­schied sich Kla­ra schließ­lich, ohne ihren Mann in eine eige­ne Woh­nung zu zie­hen. „Hier kann ich tun und las­sen, was ich will. Es ging ein­fach nicht mehr“, sagt sie, „…auch wenn wir uns noch gut ver­ste­hen.“ Die Eigen­stän­dig­keit war der Senio­rin wich­tig, auch wenn der Preis, den sie dafür bezahlt, hoch ist, denn ihr Mann, der auch selbst nicht viel Geld zur Ver­fü­gung hat, unter­stützt sie nicht. „Das Amt bezahlt die Mie­te“, sagt Kla­ra und meint damit, dass sie mit rund 200 Euro Grund­si­che­rung, etwa 200 Euro Ren­te abzüg­lich Strom, Tele­fon und Bank­ge­büh­ren noch unge­fähr 270 Euro pro Monat übrig hat. Für alles, was anfällt. Lebens­mit­tel, Geträn­ke, Klei­dung, Schu­he, Putz- und Hygie­ne­ar­ti­kel, Haus­halts­ar­ti­kel und auch mal für einen Kaf­fee unter­wegs. Denn das ist für Kla­ra Luxus und gera­de jetzt oft die ein­zi­ge Mög­lich­keit, ein­mal mit Men­schen zu spre­chen. Und wenn es über das Wet­ter ist. „Wenn ich mir mal drau­ßen eine Tas­se Kaf­fee gön­ne, brau­che ich kein schlech­tes Gewis­sen zu haben“, erzählt sie. Jetzt, in Zei­ten von Coro­na bedrückt das Kon­takt­ver­bot die älte­ren Men­schen nicht nur – es lässt sie oft ein­fach ver­stum­men, ohne dass sie selbst etwas dage­gen tun kön­nen. Wer nur in sei­ne eige­nen vier Wän­den lebt, als Ange­hö­ri­ger einer Risi­ko­grup­pe Angst haben muß, sich schwer­wie­gend anste­cken zu kön­nen, der spricht kaum mehr und droht von Fall zu Fall zu ver­ein­sa­men. Da kann ein Schwätz­chen am Kaf­fee­stand schon mal eine schö­ne Abwechs­lung sein.

Das lan­ge Arbeits­le­ben hin­ter­ließ auch kör­per­li­che Spu­ren bei Kla­ra. Sie kann nicht mehr rich­tig lau­fen, hat Atem­pro­ble­me und mitt­ler­wei­le Pfle­ge­grad 3. Damit sie mit dem weni­gen Geld, das ihr noch bleibt, über­haupt zurecht­kommt, müss­te sie die Atten­dor­ner Tafel besu­chen, sich dort geben las­sen, was ande­re nicht mehr kau­fen mögen. Weil die Bei­ne aber nicht mehr so wol­len, bekommt sie Unter­stüt­zung durch den dia­ko­ni­schen Fahr­dienst „Wohl zu Hau­se“. Wenn mög­lich, bringt ihr Dia­ko­nie-Mit­ar­bei­ter Bernd Her­weg die Lebens­mit­tel wöchent­lich nach Hau­se.

Und dann wird gekocht. Wenn es geht, mit Enke­lin Lisa (Name geän­dert) Die ist näm­lich Omas Lieb­ling. Dann hat die Senio­rin ihre schöns­te Zeit. Ihrer Enke­lin zeigt sie, wie man die Wasch­ma­schi­ne bedient oder Pud­ding kocht. „Das ist mein Mäd­chen. Ich tue alles für sie.“ Und die Zwölf­jäh­ri­ge hilft ihrer Oma auch, wo sie kann. Dass Oma sich die zehn Euro, die sie ihrer Enke­lin ab und an in die Spar­do­se steckt, vom Mund abspa­ren muß, weiß Lisa natür­lich nicht.

Oma Kla­ra ist genüg­sam, hat sich nie viel gewünscht. Dazu gab es auch kei­ne Mög­lich­kei­ten. Als ihre Mobi­li­tät mehr und mehr ein­ge­schränkt wur­de, bekam sie vom Kreis Olpe Taxi-Gut­schei­ne. Jetzt kennt die Senio­rin bei­na­he alle Taxi­fah­rer der Umge­bung per­sön­lich. Wenn sie dann beim Bäcker ihren Kaf­fee trinkt, kommt immer mal jemand vor­bei, der die freund­li­che Atten­dor­ne­rin grüßt und fragt, wie es so geht und was es Neu­es gibt. Und das sind für die 72jährige die klei­nen Freu­den im All­tag. Ab und zu dabei sein, mit jeman­dem reden, raus aus der Bude.

Wie Weih­nach­ten für sie wird, weiß Kla­ra jetzt noch nicht. Wahr­schein­lich trifft man sich mit der Fami­lie. „Ich brau­che auch so jetzt nichts“, sagt sie. Für die Enke­lin gibt es neue Bett­wä­sche und Besteck als Geschenk. Außer­dem hat sie noch etwas zum Anzie­hen für sie und den Enkel­sohn besorgt. Mit ihrem Mann hat Kla­ra mal dar­über gespro­chen, dass es schön wäre, einen neu­en Schlaf­an­zug zu haben, „…wenn man mal ins Kran­ken­haus kommt“. Einen schö­nen für zehn Euro hat sie sich dann auch aus­ge­sucht. „Ich hab kei­ne gro­ßen Wün­sche“, sagt sie, „Wofür?“

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Beliebte Beiträge