2018 offenbarten die schrecklichen Missbrauchsfälle in Lüdge die strukturellen Probleme in der Jugendhilfe und im Kinderschutz. Und sie mahnten, dass dringend gehandelt werden muss, um Kinder effektiver vor Missbrauch zu schützen und zu verhindern, dass solche Kinder zu spät von den Behörden oder Ärzten entdeckt werden. Jetzt wird das Kinder- und Jugendhilferecht unter dem Namen Kinder- und Jugendstärkungsgesetz reformiert. Das Gesetz soll in Kürze im Deutschen Bundestag verabschiedet werden. Anschließend hätte dann der zustimmungspflichtige Bundesrat das letzte Wort.


Um über wichtige Änderungen zu informieren und vor Ort zu diskutieren, veranstaltete die Bundestagsabgeordnete Nezahat Baradari, SPD, eine digitale Videoveranstaltung. Auf dem virtuellen Podium der sehr gut besuchten Konferenz saßen hochkarätige Gäste: die beiden Bundestagskolleginnen Ulrike Bahr und Ester Dilcher. Bahr ist Berichterstatterin in der SPD-Bundestagsfraktion für Kinder- und Jugendhilfe und direkt an der Entstehung der Reform beteiligt. Weiter dabei waren Sebastian Fiedler, Landes- und Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), und Dr. med Ralf Kownatzki, Kinderarzt und 1. Vorsitzender der Organisation RISKID e. V.. Diese tritt für eine verbesserte Kommunikation zwischen Kinder- und Jugendärzten beim Verdacht von Kindesmisshandlungen ein. Die Runde komplettierte Ansgar Röhrbein, Leiter des Märkischen Kinder-Zentrums der Märkischen Kliniken.


Aus Sicht Baradaris ist dieser Schritt „längst überfällig.“, der Unterstützungsbedarf sehr groß. Das verdeutlichen die nackten Zahlen: 360000 Kinder und Jugendliche haben eine seelische, geistige oder körperliche Behinderung. 31000 junge Menschen werden vor allem nach ihrem 18. Geburtstag als sogenannte „Careleaver“ aus der Kinder- und Jugendhilfe entlassen. 1,1 Millionen Kinder und Jugendliche profitieren von den Hilfen zur Erziehung in der Kinder- und Jugendhilfe, 3–4 Millionen haben einen Elternteil, der an einer psychischen Krankheit leidet. 


Mit der Reform sind fünf Ziele verbunden: Ein insgesamt größerer Kinder- und Jugendschutz durch Ombudsstellen und die verbesserte Unterbringung in Pflegefamilien und Einrichtungen der Erziehungshilfe. Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen erhalten Hilfen aus einer Hand. Die Prävention vor Ort wird verbessert und junge Menschen, Eltern und Familien stärker beteiligt. 


Durch die unterschiedlichen Schwerpunkte der einzelnen Podiumsgäste wurde das Vorhaben aus verschiedenen Winkeln spannend und in Einzelfragen auch kontrovers betrachtet. Beispielsweise bei Umsetzungen in der Meldepflicht bei Kindeswohlgefährdungen, die auch bei Baradari „gewisse Bauchschmerzen“ hinterlässt. Tatsächlich verzögerte sich einige Tage später die Verabschiedung des Gesetzes. Grund: Über die Meldepflicht soll noch weiter beraten werden.


Die Gesetzesnovellierung wurde im Vorfeld mit vielen Fachleuten und Praktikern beraten. „Jetzt haben wir eine Gesetzesreform, mit der wir die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen noch stärker in den Fokus rücken. Wir haben bessere Möglichkeiten der Beschwerde und Beratung. Gleichzeitig stärken wir den Kinderschutz in Heimen und Pflegefamilien und bieten mehr Hilfen für über 18-jährige“, führte die heimische Bundestagsabgeordnete aus, die selbst Kinder- und Jugendärztin ist. 

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