Ein Drittel der Apotheken in Westfalen-Lippe haben derzeit massive Probleme, ihre Patienten zu versorgen. Die Ursache dafür liegt nicht in den Apotheken vor Ort. Vielmehr machen häufige Ausfälle in der Telematikinfrastruktur, mit der die E-Rezepte übermittelt werden, den Ärzten und Apothekenteams das Leben schwer. „Vor allem aber gefährden diese Ausfälle die Versorgung unserer Patienten“, kritisiert Ulf Ullenboom, Vorsitzender der Bezirksgruppe Olpe im Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL).

E-Rezepte werden über die Telematikinfrastruktur (TI) des Bundes abgewickelt. Der Arzt legt die von ihm ausgestellten E-Rezepte sicher verschlüsselt in der TI ab. Dort kann die Apotheke vor Ort diese abrufen, wenn der Patient ihr den erforderlichen „Schlüssel“ dazu gibt, also in der Regel seine Gesundheitskarte in der Apotheke steckt. „Wenn es aber zu Störungen in der TI kommt, können wir die Rezepte in der Apotheke nicht abrufen, ganz gleich wie gut wir selbst technisch aufgestellt und geschult sind. Gleiches gilt auch für die betroffenen Ärzte, die durch diese Ausfälle die E-Rezepte nicht in der TI ablegen können“, so Ulf Ullenboom.

Die Hände gebunden
Um E-Rezepte verarbeiten zu können brauchen die Apotheken und Ärzte einen elektronischen Heilberufeausweis. Wird dabei der Anbieter „medisign“ genutzt, kommt es seit Wochen zu massiven Schwierigkeiten beim Schreiben und Lesen von E-Rezepten. „Sämtliche Dienstleister, die am E-RezeptDienst teilnehmen, sind von der Gematik, also der Digitalisierungsagentur des Bundes, zertifiziert
worden. Uns ist vollkommen unverständlich, wie ein solcher Dienstleister trotz Prüfung und Zertifizierung durch die Gematik nun regelmäßig ausfallen kann“, so Ulf Ullenboom. „Wir Apotheken müssen uns darauf verlassen können, dass die von der Gematik zugelassenen Komponenten auch funktionieren.“

„Die Patienten stehen in ihren Apotheken und können dort ihre Arzneimittel nicht bekommen, weil den Mitarbeiter schlicht die Hände gebunden sind. Wir müssen 90-Jährige unverrichteter Dinge wegschicken und bitten, den Weg noch einmal auf sich zu nehmen. Wir müssen Eltern mit weinenden Kindern auf dem Arm vertrösten. Gerade in Akutfällen müssen Patienten ihre Arzneimittel aber schnell erhalten – und nicht erst, wenn die TI wieder läuft.“

Die Apotheken selbst hätten in ihrem Bereich für Ausfallsicherheit gesorgt und entsprechend investiert. Dass die Gematik dies nicht ebenfalls getan habe, ist für Ulf Ullenboom vollkommen unverständlich.

Für die betroffenen Apotheken bedeutet der Ausfall einen existenzgefährdenden wirtschaftlichen Schaden. Mittlerweile seien annähernd zwei Drittel der Rezepte elektronisch, so Ulf Ullenboom. „Wenn die TI nicht funktioniert, läuft bei uns so gut wie nichts mehr. Für unsere Mitarbeiter ist das extrem frustrierend – und für die Inhaber sind das Öffnungszeiten ohne Umsatz. Die betroffene Kollegen können ihren Betrieb in der Zeit des Ausfalls eigentlich dichtmachen“, so Ulf Ullenboom.

Hoher finanzieller Schaden
„Sie werden aufgrund des finanziellen Schadens womöglich sogar dauerhaft schließen müssen“, warnt Thomas Rochell, Vorstandsvorsitzender des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe. Die wirtschaftliche Lage der Apotheken vor Ort sei ohnehin äußerst schwierig, nachdem es seit 20 Jahren keinen Inflationsausgleich mehr gegeben habe. Schon jetzt sei ein Drittel der Apotheken vor Ort stark gefährdet. Die durch die Probleme mit der TI verschuldeten Umsatzeinbußen seien ein weiterer Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringe: „Dies gefährdet die flächendeckende Arzneimittelversorgung der Bürger“, so Rochell.

Die Apotheken vor Ort befürworteten das E-Rezept und hätten gerade in der Modellregion WestfalenLippe sehr konstruktiv an der Einführung mitgearbeitet, so Rochell. Wenn aber derart gravierende Probleme auftreten, müsse der Bund überlegen, das System vorübergehend vom Netz zu nehmen, bis die Schwierigkeiten ausgeräumt seien. „Alles andere ist den Patienten, aber auch den Akteuren im Gesundheitswesen nicht zuzumuten.“ Rochell fordert: „Die betroffenen Apotheken müssen vom Bund für die Einbußen entschädigt werden.“ Und er empfiehlt den Patienten: „Bitten Sie Ihren Arzt, ein klassisches rosafarbenes Papierrezept auszustellen, bis alles rund läuft.“

Der Apothekerverband Westfalen-Lippe e.V. (AVWL):
Die Apotheken in Westfalen-Lippe versorgen die Bevölkerung mit lebenswichtigen Arzneimitteln, sie beraten die Menschen kompetent und vertraulich und erbringen wohnortnah pharmazeutische Dienstleistungen. Der AVWL vertritt die Interessen von rund 1.300 Apothekeninhabern mit 1700 Haupt- und Filialapotheken. Er versteht sich als Zweckverband für die wirtschaftlichen, rechtlichen und berufspolitischen Interessen seiner Mitglieder und vertritt diese nach außen. Weitere Informationen unter www.apothekerverband.de

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