Freitag, 25. April 2025

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Bezie­hungs­ar­beit ist das A und O

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Marie M. strahlt mit der Son­ne um die Wet­te. Im Außen­be­reich der Wert­h­mann-Werk­statt Atten­dorn genießt sie regel­mä­ßi­ge Spa­zier­fahr­ten und das Mit­ein­an­der (Foto: Wert­h­mann Werk­stät­ten)

Die Tür geht auf, Musik sorgt für gute Stim­mung bei den Beschäf­tig­ten im För­der­be­reich der Wert­h­mann-Werk­stät­ten im Indus­trie­ge­biet Askay in Atten­dorn. Der Blick von Marie M. geht sofort zu ihrer Mut­ter, die auf Stipp­vi­si­te vor­bei­schaut, um ein wenig zu berich­ten – vom Leben mit einer schwerst­be­hin­der­ten Toch­ter sowie von der Unter­stüt­zung, Betreu­ung und För­de­rung, die sie hier in der Werk­statt erfah­ren. Dank­bar bli­cken sie zurück auf die ver­gan­ge­nen vier Jah­re, die ihnen gezeigt haben: Bil­dung, Teil­ha­be und För­de­rung sind mög­lich. Für alle!

Marie M. schaut freund­lich und offen in die Run­de, sie ver­steht und hört zu, ihr Blick ver­rät alles, auch wenn sie nur noch schlecht arti­ku­lie­ren kann. Daher lässt sie ihre Mut­ter spre­chen. Sie ist Bezugs­per­son Num­mer eins. Marie M. und ihre Mut­ter sind ange­kom­men. Bei­de leben seit 2018 zusam­men in Olpe. Wäh­rend die Mut­ter in der Kreis­stadt ihrer Berufs­tä­tig­keit nach­geht, wird Marie jeden Mor­gen vom Fahr­dienst zu ihrer „Wir­kungs­stät­te“ in den Askay gebracht und nach­mit­tags wie­der nach Hau­se beglei­tet. Von Ulf, ihrem Fah­rer vom Fahr­dienst Busch, der unlängst zur fes­ten Bezugs­per­son gewor­den ist. „Wenn er mor­gens Marie abholt, freut sie sich, in einen abwechs­lungs­rei­chen Tag mit geziel­ter För­de­rung, ver­schie­de­nen Arbeits­auf­trä­gen sowie viel­fäl­ti­gen Beschäf­ti­gungs­ak­ti­vi­tä­ten star­ten zu kön­nen“, zeigt sich auch die Mut­ter dank­bar für die Form der sta­bi­len Unter­stüt­zung und Ent­las­tung.

Kein Abstem­peln, kein „in die Ecke schie­ben“

Inzwi­schen ist Marie 22 Jah­re alt. Ihre Lebens­er­war­tung, so berich­tet die Mut­ter, sei nicht so hoch gewe­sen. Marie lei­det an unheil­ba­rer Mus­kel­dys­tro­phie, einer Erkran­kung, die von fort­schrei­ten­der Mus­kel­schwä­che und Mus­kel­schwund gekenn­zeich­net ist. Im Alter von sie­ben Jah­ren wur­den ers­te Anzei­chen ihres Lei­dens deut­lich erkenn­bar. Seit­her schrei­tet die Krank­heit uner­bitt­lich fort und schränkt sie zuse­hends ein. Doch auf­ge­ben ist für Marie kei­ne Opti­on, sie ist eine Kämp­fe­rin und Opti­mis­tin. Regel­mä­ßig ver­rich­tet sie im För­der­be­reich der Werk­statt ent­spre­chend ihren Fähig­kei­ten klei­ne­re Arbei­ten für exter­ne Fir­men – sei es Flie­gen­klat­schen oder Dämm­scha­len bekle­ben oder Schrau­ben sor­tie­ren. Getreu dem Werk­statt-Mot­to: Arbeit mög­lich machen. Aktiv, neu­gie­rig und begeis­te­rungs­fä­hig, sei sie schon immer gewe­sen, habe „Ohren wie Rha­bar­ber­blät­ter“, scherzt ihre Mut­ter. „Marie ist immer mit­ten­drin, ihr ent­geht nichts“, bestä­tigt auch ihre Grup­pen­lei­tung Sarah Mül­ler-Bart­nik. „Ein rich­ti­ger Son­nen­schein, der die Grup­pe berei­chert“. Doch der Weg hier­hin war ein stei­ni­ger, berich­tet Maries Mut­ter.

In Ber­lin-Bran­den­burg auf­ge­wach­sen, stie­ßen sie dort 2017 an die Gren­zen des Sys­tems. Pfle­ge, För­de­rung und ent­spre­chen­de Bil­dung schie­nen nicht ver­ein­bar zu sein. Ein inklu­dier­tes, wohn­ort­na­hes und bar­rie­re­frei­es Ange­bot für schwer­be­hin­der­te Men­schen nach dem regu­lä­ren Schul­ab­schluss – Fehl­an­zei­ge! „Marie wur­de qua­si aus­ge­mus­tert“, erzählt ihre Mut­ter noch heu­te ent­setzt. „Die Nicht­ach­tung von Mensch und Behin­de­rung wur­de untrag­bar.“ Durch meh­re­re fami­li­en­ent­las­ten­de Auf­ent­hal­te im Kin­der­hos­piz Bal­tha­sar in Olpe wur­de die Fami­lie dann auf die Wert­h­mann-Werk­stät­ten auf­merk­sam.

„Zusam­men­ge­hö­rig­keits­ge­fühl wird geför­dert und auch erreicht“

Ein Glücks­fall, wie sie beteu­ert, denn „hier stimm­te sofort die Che­mie, Maries Stär­ken und Fähig­kei­ten wur­den von Beginn an in den Blick genom­men“. So wur­de der b.Punkt, der Berufs­bil­dungs­be­reich der Wert­h­mann-Werk­stät­ten, ab 2018 Maries neue „beruf­li­che und tages­struk­tu­rie­ren­de Hei­mat“. Ein gelun­ge­ner Neu­an­fang für Mut­ter und Toch­ter. „Wir haben die­sen Schritt nicht bereut. Die Unter­stüt­zung, För­de­rung und Mensch­lich­keit, die wir hier erfah­ren, ist ein extre­mer Zuge­winn an Lebens­qua­li­tät“, so die Mut­ter über­zeugt und mit dank­ba­rem Blick auf ihre Toch­ter, die gera­de im Rol­li bei schöns­tem Herbst­wet­ter das Außen­ge­län­de erkun­det. Über ein Rein­schnup­pern in unter­schied­li­che Berei­che der Werk­statt hat Marie ihren ganz per­sön­li­chen Weg ein­ge­schla­gen – immer unter Berück­sich­ti­gung ihrer fort­schrei­ten­den Ein­schrän­kun­gen. Von ihrer Krank­heit unter­krie­gen lässt sie sich nicht. „Sie macht, was eben geht“, berich­tet Sarah Mül­ler-Bart­nik. Im För­der­be­reich wird Arbeit mög­lich gemacht, ergänzt um tages­struk­tu­rie­ren­de Ange­bo­te. „Unter Beach­tung ihres indi­vi­du­el­len Ent­wick­lungs­stan­des wer­den unse­re Beschäf­tig­ten an die beruf­li­che Lebens­welt her­an­ge­führt“, erzählt Mela­nie Schif­fer, Abtei­lungs­lei­tung der Wert­h­mann-Werk­statt in Atten­dorn. „Die Auf­trä­ge sind ganz unter­schied­li­cher Natur. Die hier aus­ge­üb­ten Tätig­kei­ten hel­fen den Men­schen, ihre Kom­pe­ten­zen zu ver­bes­sern – etwa bei Grob- und Fein­mo­to­rik, bei Kon­zen­tra­ti­on und Aus­dau­er.“

Jeder leis­tet sei­nen ganz indi­vi­du­el­len Bei­trag

Ein sta­bi­les Bezugs­per­so­nen­sys­tem sichert zudem die indi­vi­du­el­le Betreu­ung und Unter­stüt­zungs­leis­tun­gen, die bei Marie auch logo­pä­di­sche Ein­hei­ten umfas­sen. Ganz viel Rou­ti­ne erleich­tern hier die Bezie­hungs­ar­beit und die För­de­rung des Zusam­men­ge­hö­rig­keits­ge­fühls. Da sind zum einen die Mit­ar­bei­ten­den im För­der­be­reich die Marie eben­so ans Herz gewach­sen sind wie ihre bes­te Freun­din Anne. Mit ihr genießt sie die abwechs­lungs­rei­chen Tage in den ein­la­den­den Räum­lich­kei­ten. Beim gemein­sa­men Backen, den Spa­zier­fahr­ten im schö­nen Außen­ge­län­de oder dem Chil­len im Sitz­sack bei einer Mär­chen­stun­de oder lau­ter Par­ty­mu­sik leuch­ten Maries Augen. Ihr Strah­len hält auch an, wenn Ulf am Nach­mit­tag vor­fährt und die Heim­fahrt nach Olpe ansteht. Zuhau­se ange­kom­men teilt sie mit der Mut­ter die Erleb­nis­se ihres Tages auf ihre ganz eige­ne Wei­se. Marie ist eine jun­ge, lebens­be­ja­hen­de Frau – alles, außer gewöhn­lich!

Info­box:

  • Beruf­li­che Bil­dung und dif­fe­ren­zier­te Arbeits­an­ge­bo­te von der ein­fa­chen Mon­ta­ge bis zu kom­ple­xen Arbeits­an­for­de­run­gen inner­halb und außer­halb der Werk­statt sind unver­zicht­ba­re Bestand­tei­le der Wert­h­mann-Werk­stät­ten des Cari­tas­ver­ban­des Olpe.
  • Durch die Ver­bin­dung bei­der Berei­che kann das Opti­ma­le für die beruf­li­che Teil­ha­be der Men­schen mit Behin­de­run­gen erreicht wer­den.
  • Der För­der­be­reich hilft Men­schen mit erhöh­tem Assis­tenz­be­darf, ihre indi­vi­du­el­len Fähig­kei­ten und Fer­tig­kei­ten wei­ter­zu­ent­wi­ckeln. Sie erler­nen den Umgang mit unter­schied­li­chen Werk­stof­fen und erlan­gen Grund­kennt­nis­se in der Fer­ti­gung. Die Beschäf­tig­ten bestim­men mit ihren Wün­schen und ihren indi­vi­du­el­len Fähig­kei­ten die Art und das Tem­po der Ange­bo­te. Die Betreu­ung schließt eine qua­li­fi­zier­te pfle­ge­ri­sche Ver­sor­gung ein.
  • Rech­net man zusätz­lich zum Stand­ort im Askay die Abtei­lun­gen in Olpe, Wel­schen Ennest und Len­ne­stadt hin­zu, sind mitt­ler­wei­le ins­ge­samt über 677 Per­so­nen in den Wert­h­mann-Werk­stät­ten des Cari­tas­ver­ban­des Olpe beschäf­tigt.

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