Dienstag, 15. April 2025

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“Manch­mal muss man Out-Of-The-Box den­ken”

Dr. Vio­rel Fet­cu und Dr. Mar­tin Viel­hau­er spre­chen über Vor­sor­ge, Dia­gno­se und The­ra­pie von Darm­krebs

Seit dem 1. April gibt es eine neue Regel zur Darm­krebs-Vor­sor­ge: Die Kran­ken­kas­sen zah­len eine Darm­krebs-Vor­sor­ge­un­ter­su­chung für Frau­en und Män­ner bereits ab dem 50. Lebens­jahr. Dr. Vio­rel Fet­cu, Lei­ter des Darm­zen­trums Süd­west­fa­len und Dr. Mar­tin Viel­hau­er, Sek­ti­ons­lei­ter Gas­tro­en­te­ro­lo­gie in den GFO Kli­ni­ken Süd­west­fa­len, spre­chen im Inter­view über neus­te Tech­no­lo­gien und Erkennt­nis­se bei Dia­gno­se und Behand­lung von Darm­krebs. Dabei gehen sie auch auf die Bedeu­tung der Vor­sor­ge ein.

War­um ist die Darm­krebs­vor­sor­ge so wich­tig?
Dr. Viel­hau­er: Die Darm­krebs­vor­sor­ge ist so wich­tig, weil jähr­lich cir­ca 40.000 Men­schen in Deutsch­land an Darm­krebs erkran­ken. Der Darm­krebs ist die zweit­häu­figs­te Krebs­er­kran­kung der Frau und die dritt­häu­figs­te Krebs­er­kran­kung des Man­nes. Pro Jahr ver­ster­ben cir­ca 16.000 Pati­en­ten an den Fol­gen einer Darm­krebs­er­kran­kung.

Wie läuft die Unter­su­chung genau ab?
Dr. Viel­hau­er: Nach einer ent­spre­chen­den Darm­vor­be­rei­tung am vor­he­ri­gen Tag sowie am Tag der Unter­su­chung erfolgt die Unter­su­chung in der Regel mit einer intra­ve­nö­sen Beru­hi­gungs­me­di­ka­ti­on, sodass sie voll­kom­men schmerz­frei abläuft. Die Endo­sko­pie wird durch den Arzt sowie zwei Pfle­ge­kräf­ten durch­ge­führt, wobei eine Assis­tenz die Über­wa­chung des Pati­en­ten wäh­rend der Unter­su­chung durch­führt Die Unter­su­chungs­dau­er beträgt ca. 20 Minu­ten, Poly­pen kön­nen gleich bei der Spie­ge­lung ent­fernt wer­den. Anschlie­ßend kann der Pati­ent nach einer kur­zen Nach­über­wa­chung und einem Gespräch mit dem Arzt ent­las­sen wer­den. Der Rest des Tages kann ohne Ein­schrän­kung – außer der akti­ven Teil­nah­me am Stra­ßen­ver­kehr – ganz nor­mal ver­bracht wer­den. Beschwer­den nach der Darm­spie­ge­lung tre­ten in der Regel nicht auf – den­noch erhält der Pati­ent eine Kon­takt­adres­se um sich bei Pro­ble­men jeder­zeit mel­den zu kön­nen.

Kann künst­li­che Intel­li­genz dabei hel­fen, Darm­krebs bes­ser oder frü­her zu erken­nen
Die KI wird bereits heu­te in der Endo­sko­pie genutzt, um wäh­rend der Unter­su­chung auf­fäl­li­ge Ver­än­de­run­gen an der Darm­schleim­haut zu ent­de­cken, die sonst dem Unter­su­cher ent­ge­hen kön­nen. Die­se Sys­te­me sind in der Lage, eine zuver­läs­si­ge fein­ge­web­li­che Beur­tei­lung zu erstel­len.

Wie kann es gelin­gen, dass mehr Men­schen regel­mä­ßig zur Vor­sor­ge gehen?
Dr. Viel­hau­er: Wir ver­su­chen durch ver­mehr­te Öffent­lich­keits­ar­beit auf die Wich­tig­keit der Vor­sor­ge­ko­lo­sko­pie auf­merk­sam zu machen. Die Anschrei­ben der gesetz­li­chen Kran­ken­kas­sen an ihre Ver­si­cher­ten ab dem 50. Lebens­jahr haben sicher einen wert­vol­len Dienst erwie­sen. Gleich­zei­tig muss aber das ambu­lan­te Ange­bot zur Durch­füh­rung einer Darm­spie­ge­lung gera­de in unse­rem länd­li­chen Raum deut­lich ver­bes­sert wer­den.

Wel­che inno­va­ti­ven Tech­no­lo­gien wer­den im Darm­zen­trum ein­ge­setzt, um die Dia­gno­se und Behand­lung von Darm­krebs zu ver­bes­sern?
Dr. Fet­cu: Die Dia­gno­se von Darm­krebs steht und fällt mit der Darm­spie­ge­lung. Das ist der ers­te Schritt, um über­haupt eine Ver­än­de­rung im Darm zu unter­su­chen. Nor­ma­ler­wei­se kom­men die Pati­en­ten, zum Bei­spiel, wenn sie Blut im Stuhl haben oder ganz häu­fig wenn sie unre­gel­mä­ßi­ge Stuhl­gän­ge haben oder wenn sich kurz­fris­tig Durch­fall und Ver­stop­fung abwech­seln. Dann sind meh­re­re Unter­su­chun­gen not­wen­dig, aber die wich­tigs­te ist die Darm­spie­ge­lung. Wenn etwas Auf­fäl­li­ges ent­deckt wird und eine tumo­rö­se For­ma­ti­on zu sehen ist, wird eine Pro­be ent­nom­men. Die­se wird dann zur Patho­lo­gie geschickt. Bevor die Pati­en­ten im Darm­zen­trum vor­ge­stellt wer­den, ist noch eine CT-Unter­su­chung von Bauch und Brust­korb nötig, um zu schau­en, ob der Tumor gestreut hat. Bei spe­zi­el­len Kar­zi­no­men im Mast­darm sind noch eine MRT-Unter­su­chung und eine Endo­so­no­gra­fie not­wen­dig. Gera­de die Endo­so­no­gra­fie-Gerä­te sind heut­zu­ta­ge so gut, dass sie in man­chen Fäl­len sogar bes­ser sind als die MRT-Unter­su­chung. Dar­über hin­aus ist die­se Unter­su­chung weni­ger belas­tend für die Pati­en­ten. Wenn wir alle Befun­de haben, bespre­chen wir die Fäl­le im Darm­zen­trum. Dort wird eine indi­vi­du­el­le Ent­schei­dung getrof­fen, in wel­che Rich­tung es geht. Hier neh­men meh­re­re Abtei­lun­gen teil, es wird nach Leit­li­ni­en ent­schie­den wel­che die bes­te The­ra­pie für den Pati­en­ten ist. Zusätz­lich wer­den die Tumor­mar­ker bestimmt, also die­je­ni­gen Stof­fe, die über den Ver­lauf der Krank­heit aus­sa­ge­kräf­tig sind. Bei uns wer­den CEA und CA19‑9 bestimmt. Wir fan­gen jetzt damit an, wei­te­re Tumor­mar­ker bereits vor der Ope­ra­ti­on in der Patho­lo­gie bestim­men zu las­sen. Zuvor haben wir die­sen Mar­ker, MSI, erst nach der Ope­ra­ti­on bestimmt. Dadurch kann man sagen, ob der Pati­ent eine Immun­the­ra­pie braucht oder nicht. Es gibt sehr vie­le Stu­di­en, die in die­se Rich­tung gehen.

Wie wird das Behand­lungs­team im Darm­zen­trum zusam­men­ge­stellt?
Dr. Fet­cu: Die ers­ten sind häu­fig die Gas­tro­en­te­ro­lo­gen. Die unter­su­chen die Pati­en­ten und kön­nen sagen, ob etwas ver­däch­tig aus­sieht. Die nächs­ten sind die Patho­lo­gen. Die sagen uns, ob es sich tat­säch­lich um ein Kar­zi­nom han­delt oder nicht. Dann kom­men die Radio­lo­gen mit den MRT- und CT-Unter­su­chun­gen. Die Endo­so­no­gra­fie machen die Gas­tro­en­te­ro­lo­gen. Dann kann man ent­schei­den, ob man die Pati­en­ten ope­rie­ren muss oder nicht. Wenn es Meta­sta­sen gibt muss häu­fig zuerst eine Radio­chemo­the­ra­pie erfol­gen. Dazu kom­men die Bestrah­lungs­the­ra­peu­ten und Onko­lo­gen. Wich­tig ist auch die Psy­cho­on­ko­lo­gie. Denn die Pati­en­ten sind schon belas­tet, wenn sie erfah­ren, dass sie ein Kar­zi­nom haben und eine lan­ge Zeit behan­delt wer­den müs­sen. Eine gro­ße Hil­fe sind bei uns im Haus die onko­lo­gi­schen Fach­pfle­ger. Die küm­mern sich um die Pati­en­ten vom Anfang bis zum Ende der The­ra­pie, beglei­ten sie nicht nur, son­dern orga­ni­sie­ren die Ter­mi­ne und neh­men Kon­takt mit den Onko­lo­gen auf. Zusätz­lich fan­gen wir nun an mit dem ERAS Pro­gramm, wo die Pati­en­ten schon prä­ope­ra­tiv von unse­rem Pfle­ge­per­so­nal spe­zi­ell vor­be­rei­tet wer­dem. Hier fin­den wir uns ganz am Anfang und ich möch­te zur­zeit nicht viel preis­ge­ben, aber wir wer­den in Olpe den gro­ßen Kli­ni­ken eben­bür­tig wer­den.

Gibt es per­so­na­li­sier­te Behand­lungs­plä­ne für Pati­en­ten, und wie wer­den die­se erstellt?
Dr. Fet­cu: Jeder Pati­ent bekommt eine per­so­na­li­sier­te Behand­lung. Das hat etwas mit der Vor­ge­schich­te der Pati­en­ten zu tun. Was haben die Pati­en­ten für Vor­er­kran­kun­gen, kön­nen wir sie über­haupt onko­lo­gisch behan­deln? Wur­den sie schon ein­mal bestrahlt, wo wir sie bestrah­len wol­len? Das dür­fen wir dann nicht mehr. Stel­len sie sich uns not­fall­mä­ßig oder geplant vor?
Jeder Pati­ent ist ein­zig­ar­tig. Dazu kom­men noch die Tumor­for­men. Der Patho­lo­ge sagt uns, wie groß der Tumor war, ob über­haupt Lymph­kno­ten befal­len sind, und, wenn ja: wie vie­le Lymph­kno­ten. Ob es eine Fern­me­ta­sta­se gibt oder nicht. Alle die­se Kri­te­ri­en spie­len eine ganz gro­ße Rol­le in der Behand­lung. Es gibt Leit­li­ni­en, das sind aber kei­ne Richt­li­ni­en. Wir bewe­gen uns schon inner­halb der Leit­li­ni­en, aber manch­mal muss man auch „Out-of-the-box“ den­ken und den Pati­en­ten ande­re The­ra­pien emp­feh­len. Jeder Pati­ent wird indi­vi­du­ell behan­delt.

Wel­che Lebens­mit­tel sen­ken das Darm­krebs­ri­si­ko?
Dr. Viel­hau­er: Grund­sätz­lich wird eine bal­last­stoff­rei­che Ernäh­rung (30 g /Tag) emp­foh­len. Sie soll­te reich an Fol­säu­re, Kal­zi­um und Vit­amin D6 sein und viel Obst und Gemü­se ent­hal­ten. Rotes bzw. ver­ar­bei­te­tes Fleisch soll­te nicht täg­lich kon­su­miert wer­den.

Wel­che Rol­le spielt die Ernäh­rung bei der Behand­lung von Darm­krebs, und gibt es spe­zi­el­le Ernäh­rungs­pro­gram­me für die Pati­en­ten?
Dr. Fet­cu: Die Ernäh­rung spielt eine ganz gro­ße Rol­le, sowohl vor der Ope­ra­ti­on als auch danach. Egal, wie die The­ra­pie aus­sieht: Die Pati­en­ten, bei denen Krebs dia­gnos­ti­ziert wor­den ist, bekom­men über die onko­lo­gi­sche Fach­pfle­ge ein Zusatz-Ernäh­rungs­pa­ket. Damit kön­nen sie zuhau­se anfan­gen und dann wer­den sie behan­delt. Sei es zuerst onko­lo­gisch und dann chir­ur­gisch und bestrah­lungs­the­ra­peu­tisch oder direkt chir­ur­gisch. Dann haben sie ein deut­lich bes­se­res Ergeb­nis post­ope­ra­tiv. Die Wun­den hei­len bes­ser und die Pati­en­ten sind post­ope­ra­tiv deut­lich bes­ser unter­wegs. Nach der Ope­ra­ti­on wer­den sie wei­ter hoch­ka­lo­risch ernährt, sodass alles bes­ser hei­len kann. So kön­nen auch unse­re Anas­to­mo­sen hal­ten. Denn wenn sie kei­ne Kalo­rien, kei­ne Pro­te­ine haben, kön­nen sie auch nicht hei­len. Hier­bei ist unse­re Ernäh­rungs­be­ra­te­rin eine gros­se Unter­stüt­zung.
Ein Pati­ent mit einer gro­ßen Wun­de hat den 5- bis 50-fachen kalo­ri­schen Bedarf wie ande­re Men­schen. Wer eine Wun­de hat muss sich pro­te­in­rei­cher ernäh­ren.

Wie wird die Nach­sor­ge von Darm­krebs­pa­ti­en­ten im Darm­zen­trum orga­ni­siert, um Rück­fäl­le zu ver­hin­dern?
Dr. Fet­cu: Die Nach­sor­ge ist fest gere­gelt von der Deut­schen Krebs­ge­sell­schaft. Aus­schlag­ge­bend sind die Tumor­klas­si­fi­ka­ti­on und in wel­chem Sta­di­um er sich befin­det. Nach 3, 6, 9, 12 Mona­ten, einem, drei und fünf Jah­ren wer­den die Pati­en­ten unter­sucht. dabei wird alles kon­trol­liert: Tumor­mar­ker, wir machen einen Ultra­schall, nach einem Jahr wird noch­mal eine Darm­spie­ge­lung gemacht. Das wird alles regel­haft unter­sucht, oder wenn der Pati­ent Beschwer­den hat. Dann wird er sofort kon­trol­liert, mit bild­ge­ben­den Maß­nah­men wie einem CT, um Rück­fäl­le zu ver­mei­den. Und wenn ein Pati­ent einen Rück­fall hat, dann wird im Darm­zen­trum noch­mal über den Fall dis­ku­tiert und zusam­men eine indi­vi­dua­li­sier­te Ent­schei­dung zur wei­te­ren Behand­lung getrof­fen.

Wie könn­te die Darm­krebs­vor­sor­ge im Jahr 2050 aus­se­hen?
Dr. Viel­hau­er: Der­zeit wer­den soge­nann­te mul­ti­tar­get-stool-DNA Tests ent­wi­ckelt, die eine sehr hohe Vor­her­seh­bar­keit von Darm­krebs bzw. Darm­po­ly­pen an Stuhl­un­ter­su­chun­gen ver­spre­chen. Wenn die­se Tests also eine hohe Sicher­heit errei­chen, müs­sen nur die Pati­en­ten mit einem posi­ti­ven Befund zur Darm­spie­ge­lung. Das wür­de natür­lich die Akzep­tanz der Darm­krebs­vor­sor­ge erheb­lich erhö­hen – die dann zuerst als Stuhl­un­ter­su­chung ange­bo­ten wer­den kann und eine ent­spre­chen­de Sicher­heit lie­fert, die der­zeit bei den „ Stuhl­brief­chen“ ( iFOBT) nicht gege­ben ist.

Wenn es eine Check­lis­te für einen gesun­den Darm gäbe, was müss­te dar­auf ste­hen?
Dr. Viel­hau­er: Regel­mä­ßi­ge kör­per­li­che Bewe­gung.
Ver­zicht auf Tabak – sowie exzes­si­ven Alko­hol­kon­sum.
Gewichts­re­duk­ti­on bei über­ge­wich­ti­gen Per­so­nen.
Bewuss­te Ernäh­rung.

Teil­nah­me an einer Vor­sor­ge­ko­lo­sko­pie für Män­ner und Frau­en ab dem 50. Lebens­jahr.

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