Anzügliche Sprüche oder Gesten, heimliche Fotos, unerwünschte Berührungen oder exhibitionistische Handlungen – das alles verletzt das sexuelle Selbstbestimmungsrecht von Menschen. „Das darf nicht vorkommen“, sagt Jutta Tripp. Sie ist die Präventionsbeauftragte des Evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg und treibt die Umsetzung der Schulungskonzepte zum Schutz vor sexualisierter Gewalt in den Kirchengemeinden und Einrichtungen des Kirchenkreis sowie dem Diakonischen Werk im Kirchenkreis voran.
„Es ist unsere große Aufgabe, möglichst viele Menschen schnell zu erreichen“, macht Tripp deutlich. Jugendliche, Frauen und Männer im Kirchenkreis und im Diakonischen Werk, ganz gleich ob in hauptamtlicher oder ehrenamtlicher Funktion, müssen für alle Formen sexualisierter Gewalt sensibilisiert werden. „Sexualisierte Gewalt kommt auch in unserer Kirche vor. Davon können wir uns nicht freisprechen“, stellt die Präventionsbeauftragte fest. Die bitteren Erfahrungen, die ein Jugendbetreuer im Kirchenkreis hinterlassen hat, sind noch frisch. Er hatte über Jahrzehnte Kinder und Jugendliche sexualisierte Gewalt angetan und sich nach Bekanntwerden der Vorfälle das Leben genommen.
„Solche Verbrechen dürfen sich nicht wiederholen. Dafür brauchen wir Achtsamkeit, Sensibilität und gegebenenfalls auch Klarheit über die notwendigen Schritte, die wir bei einem Verdachtsfall einleiten müssen. Aber dafür braucht es vor allem eine sehr gute Präventionsarbeit“, stellt Dr. Christof Grote, Superintendent des Kirchenkreises fest.
„Das Schutzkonzept ist ein wichtiger Baustein unserer Präventionsarbeit. Mit der Einrichtung des Arbeitsbereiches ‚Prävention gegen sexualisierte Gewalt‘ im Juli 2021 bei uns im Kirchenkreis, ist aber der entscheidende Schritt erfolgt. Fünf hauptamtliche Fachkräfte gehören heute zum Arbeitsbereich, sie werden von geschulten Multiplikatoren unterstützt.
Gemeinsam hat und wird der Fachbereich rund 1000 haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei uns im Kirchenkreis mit einem Aufwand von bis zu 25 Stunden pro Person schulen. Eine Arbeit und Aufgabe, die bei uns einen sehr hohen Stellenwert hat und in die wir seit Jahren sehr hohe Summen investieren“, macht Christof Grote klar.
Zahlen verdeutlichen den Aufwand, den der Kirchenkreis leisten muss, um die Anforderungen des Kirchengesetzes zum Schutz gegen sexualisierte Gewalt zu erfüllen. So schlug die Einrichtung des Arbeitsbereichs ‚Prävention gegen sexualisierte Gewalt‘ im Juli 2021 mit 50.000 Euro zu Buche. Die Ausgaben für Personal und Schulungen beliefen sich 2022 auf 134.000 Euro und 2023 auf 140.000 Euro. In diesem Jahr werden voraussichtlich 112.000 Euro Kosten anfallen. Für 2025 hat der Kirchenkreis 156.000 Euro eingeplant. Damit wird der heimische Kirchenkreis dann deutlich mehr als eine halbe Millionen Euro für die Prävention gegen sexualisierte Gewalt eingesetzt haben.
Dr. Christof Grote weist auf zwei entscheidende Komponenten hin: „Es geht aber um weit mehr als um die Erfüllung gesetzlicher Vorgaben: Mit diesem Präventionskonzept stellen wir uns der bitteren Einsicht, dass sexualisierte Gewalt auch in der Kirche vorkommt. Das haben wir in unserem Kirchenkreis leider in einem Ausmaß erleben müssen, das uns unverändert stark betroffen macht. Diese schrecklichen Missbrauchstaten in unserer Kirche, in unserem Kirchenkreis, in einer unserer Gemeinden erschüttern und entsetzen mich immer noch. Ich kann die Betroffenen nur noch einmal um Entschuldigung bitten, dass sie solche entsetzlichen Erfahrungen in unseren Räumen machen mussten, die doch eigentlich sichere Orte des Vertrauens sein sollen. Das Kirche in seinem ganzen Ausmaß wieder ein sicherer Ort wird, dafür
engagieren wir uns mit unsere Präventionsarbeit – inklusive unseres Schutzkonzeptes – in einem ganz hohen Maße.“
„Hier sind wir auf einem guten Weg“, erklärt Jutta Tripp. Die Präventionsbeauftragte Tripp agiert gleichzeitig als Sekretärin des Superintendenten und kann so viele Absprachen mit ihm direkt und auf dem kurzen Dienstweg erledigen.
Was ist bisher geschafft? „Von 2020 bis zum 1. Juli 2021 haben wir mit der Einrichtung der Präventionsarbeit zwei Schulungen mit 43 Teilnehmenden durchgeführt“, blickt Jutta Tripp zurück. 2021 folgte eine weitere Schulung für zehn Personen. 2022 nahm die Arbeit mit 32 Schulungen und 614 Teilnehmenden Fahrt auf. 2023 folgten 46 Schulungen mit 673 Teilnehmenden. In diesem Jahr waren es bis zum 1. Oktober 22 Schulungen mit 283 Teilnehmenden. Das Schutzkonzept des Kirchenkreises wurde von der Synode 2023 verabschiedet, bis heute ständig erweitert und angepasst und steht nun allen Kirchengemeinden und Einrichten des Kirchenkreises sowie der Öffentlichkeit zur Verfügung. Das Konzept ist als Download auf der Homepage des Kirchenkreises verfügbar (s. QR-Code).
„Damit ist das Ende aber nicht erreicht“, stellt Jutta Tripp fest. Es entwickele sich immer wieder neuer Schulungsbedarf, beispielsweise durch die Personalwechsel nach den Presbyteriumswahlen. Aber auch das Schutzkonzept muss ständig überprüft, angepasst und erweitert werden. Damit ist die Präventionsarbeit des Kirchenkreises eine Daueraufgabe.
Jutta Tripp ist sich sicher, dass ihre Arbeit und die der Multiplikatoren-Teams dabei deutliche Spuren hinterlässt. Und: „Alle Teilnehmenden sind hoch motiviert.“ Das ist für die weitere Arbeit wichtig, denn alle Einrichtungen des Kirchenkreises müssen nach den Schulungen ihre eigenen Schutzkonzepte entwickeln. Dr. Christof Grote dazu: „Mit dem Schutzkonzept des Kirchenkreises liegt ein guter Rahmen vor, an dem sich unsere Kirchengemeinden und weitere Einrichtungen und Dienste bei der Erstellung ihrer eigenen Schutzkonzepte orientieren können.“ Zum Schulungsteam gehören Jutta Tripp, Andrea Becker, Monika Triffo, Stefan Schick und Sören Meyer (CVJM).