Die Aufregung war groß – bei allen Beteiligten. Schließlich taucht man nicht alle Tage in das berufliche Leben anderer Leute ein und wechselt die Perspektive. Doch wenn Drolshagens Bürgermeister Ulrich Berghof sich und Heike Schrage augenzwinkernd als „Team Hauswirtschaft“ betitelt und jene im Rathaus kurzzeitig den „Chefsessel“ einnehmen darf, ist das Eis schnell gebrochen. So ging es auch allen anderen Teilnehmenden des Aktionstages „Schichtwechsel“. Vertreter aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Gesundheitswesen tauschten für einen Tag mit Beschäftigten der Werthmann-Werkstätten des Caritasverbandes Olpe die Wirkungsstätte. Arbeitsplatztausch einmal anders – mit dem Ziel zu verdeutlichen, dass Menschen mit Behinderungen ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft sind und Werkstatt-Betriebe nur gemeinsam mit anderen Unternehmen Inklusion vorantreiben können. Der „Schichtwechsel“ als bundesweite Initiative der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM) bot den Teilnehmenden neue Perspektiven auf das Thema Teilhabe am Arbeitsleben. Über das verbindende Thema Arbeit schuf der Aktionstag Raum für Begegnung und Austausch, für Schnittstellen und wechselseitige Synergieeffekte.
„Mir war gar nicht klar, was hier in seiner Vielfältigkeit und Qualität Tolles geleistet wird“, brachte es Bernd Clemens, Bürgermeister der Gemeinde Wenden nach einem ersten Rundgang in den Abteilungen Olpe und Welschen Ennest der Werthmann-Werkstätten auf den Punkt. So wie ihm ging es auch seinen Mitstreitern vom „Schichtwechsel“. Auch Ulrich Berghof (Bürgermeister der Stadt Drolshagen), Dr. med. Gereon Blum (Geschäftsführer der GFO-Kliniken Südwestfalen) sowie Dr. Roland Blumenthal (Betriebsleiter der Firma Gebr. Kemper GmbH & Co. KG) nutzten den Tag, um in die Arbeitsbereiche von Menschen mit Behinderungen an den beiden Standorten einzutauchen. Nicht zuletzt auch, um sich ein Bild von den Tätigkeiten und dem wertschätzenden Miteinander vor Ort zu verschaffen. Schließlich halten sich in der öffentlichen Debatte noch immer viele Klischees über Werkstätten für behinderte Menschen. „Nur die wenigsten Personen haben sich schon einmal mit der Vielfalt der Produkte und Dienstleitungen von Werkstätten auseinandergesetzt und die Menschen mit Behinderungen, die dort im geschützten Rahmen arbeiten, persönlich kennengerlernt“, weiß Achim Scheckel, Abteilungsleitung der Werthmann-Werkstatt in Olpe. Der Aktionstag „Schichtwechsel“ bot jetzt beste Gelegenheit.
„Mehrwert für jeden Menschen schaffen.
Der Einzelne gibt das Tempo vor.“
„Dank dieses Perspektivwechsels können die Beteiligten jetzt besser verstehen, was in einer Werkstatt wirklich geleistet wird“, so Andreas Mönig, Leiter der Werthmann-Werkstätten des Caritasverbandes. Getreu dem Motto „Arbeit möglich machen“ werde nicht nach den Defiziten, sondern immer nach den Fähigkeiten und Kompetenzen jedes Einzelnen geschaut, erläuterte Mönig. „Wir passen die Arbeit an den Menschen an, nicht umgekehrt. Jeder Beschäftigte soll seiner Tätigkeit mit Zufriedenheit nachgehen können und daraus einen Mehrwert ziehen“. Leuchtendes Beispiel sind Jennifer Troester, Martina Heimberg, Heike Schrage und Alexander B., die am Aktionstag teilnahmen und mit viel Freude ihre präzisen Arbeitsabläufe in den Bereichen der digitalen Archivierung, Hauswirtschaft und Montage ihren Schichtwechsel-Partnern „von extern“ näherbrachten. Umgekehrt erhielten die Menschen mit Behinderung einen ersten Eindruck von der Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Sie konnten Erfahrungen sammeln, die helfen, sich und ihre eigenen Fähigkeiten besser kennenzulernen. Eine Win-Win-Situation für alle Teilnehmenden.
Da überraschte es wenig, dass am Arbeitsplatz der Beschäftigten Jennifer Troester und Alexander B., die Bernd Clemens und Dr. med. Gereon Blum mit großem Know How in die präzise digitale Archivierung einwiesen, öfter mal ein anerkennendes „Wow“ zu hören war. Begeistert von den sehr gut strukturierten Arbeitsprozessen und dem Qualitätsniveau der Ergebnisse und Produkte in den jeweiligen Arbeitsbereichen zeigten sich auch Ulrich Berghof und Dr. Roland Blumenthal. Dieser durfte sich dann auch gleich an der Montage des Kemper-Eigenproduktes, der frostsicheren Außenarmatur „Frosti“ ausprobieren. Respekt zollte der Betriebsleiter dann Martina Heimberg beim Gegenbesuch im Werk 4 bei Kemper. Ihr fiel der Zusammenbau eines Absperrventils mit anschließender Dichtigkeitsprüfung deutlich leichter. „Nichts Anderes möchte ich machen, für die Montage schlägt einfach mein Herz. Und für das kollegiale Miteinander im geschützten Rahmen unserer Werkstatt“, ergänzte die Beschäftigte und stieß auf Zuspruch ihrer Kolleginnen und Kollegen.
Das entging auch nicht den vier heimischen Vertretern aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Gesundheitswesen beim Besuch in den Werkstätten. Sichtlich beeindruckt, tief bewegt und dankbar für den Blick hinter die Kulissen fiel das Resümee dementsprechend aus: „Wir werden unsere positiven Eindrücke und Erlebnisse nicht nur mitnehmen, sondern auch teilen“ versprachen sie. „Sie alle sind Botschafter ihrer Arbeit im allerbesten Sinne.“
Starkes Zeichen für Offenheit und Vielfalt in der Arbeitswelt
Für die Verantwortlichen und Beschäftigten der Werthmann-Werkstätten war die erneute Beteiligung am „Schichtwechsel“ eine Selbstverständlichkeit: „Wir brauchen mehr solcher Aktionen, um gegenseitiges Verständnis zu erlangen und die Inklusion auf dem Arbeitsmarkt weiter voranzubringen“, bekräftigte Andreas Mönig. Gleichzeitig appellierte der Werkstatt-Leiter an die kreisweiten Unternehmen, einfach mal ins Gespräch zu kommen und Möglichkeiten einer Zusammenarbeit auszuloten. „Mit unserem breit aufgestellten Leistungsportfolio sind wir immer auf der Suche nach neuen Industriepartnern und Kunden für Aufträge vielfältigster Art. Wir freuen uns, wenn unsere Beschäftigten die Chance erhalten, in Betriebe auf dem ersten Arbeitsmarkt reinzuschnuppern und Praktika absolvieren können.“ Schon viele betriebsintegrierte Arbeitsplätze und zahlreiche sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse seien so inzwischen zustande gekommen.
Jennifer Troester kann sich vorstellen, die Werkstatt irgendwann zu verlassen und auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. „Das Wissen, in den geschützten Rahmen der Werkstatt zurückkehren zu können und hier aufgefangen zu werden, hilft mir, den nächsten Schritt zu gehen.“ Doch langsam, ganz in ihrem Tempo. Getrau dem Motto: „Arbeit möglich machen.“
Infobox:
Mit Blick auf den Einzelnen, seine Fähigkeiten und Interessen:
- Die Werthmann-Werkstätten bieten seit über 50 Jahren Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit psychischen und/oder geistigen Einschränkungen – unabhängig ihrer Herkunft. In der Beruflichen Bildung „b.?punkt“ werden die erforderlichen Fertigkeiten vermittelt – praktisch und theoretisch.
- Im Arbeitsbereich unterstützen die Caritas-Werkstätten bei der täglichen Arbeit in der Montage, im Elektro-, Holz- oder Metallbereich, in der Gartenarbeit, im Lebensmittelladen oder in der Hauswirtschaft – ob per Handarbeit oder unterstützt von modernen Maschinen. Dies ist in den Werkstätten oder außerhalb in einem Betrieb möglich. Ziel ist immer: „Arbeit möglich machen“.
- An den Standorten in Attendorn, Lennestadt, Olpe und Welschen Ennest erfahren täglich 670 Menschen mit Behinderungen Teilhabe am Arbeitsleben. Davon sind 47 Menschen in den hiesigen Industrieunternehmen sowie bei Dienstleistern tätig und werden regelmäßig von den Werkstätten betreut.