Seit Sommer letzten Jahres bietet die Helios Klinik Adipositas-Therapien in Attendorn an. Therapie-Koordinator Jens Gerstenberger und Chirurg Dr. Stefan Bollmann geben Auskunft über die steigende Zahl an Übergewichtigen, die Bedeutung eines ganzheitlichen Ansatzes und was eine geplante Krankenhauskooperation für Patientinnen und Patienten im Kreis Olpe für Möglichkeiten bietet.
Wie kam es dazu, in Attendorn eine Adipositas-Therapie zu etablieren?
Dr. Stefan Bollmann: Kurz nach meinem Wechsel vor einiger Zeit von einem zertifizierten Reflux- und Adipositas-Zentrum am Niederrhein ins Sauerland, stellte ich als Neuankömmling fest, dass Menschen mit krankhaftem Übergewicht in unserer Region hier deutlich unterversorgt sind. Fachleute gehen allein für den Kreis Olpe von mehr als 2.700 Menschen aus, also rund zwei Prozent der Bevölkerung, die massiv Probleme mit Übergewicht haben. Die Zahl der Betroffenen und damit auch die dadurch ausgelösten Folgeerkrankungen wie Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen nehmen zu. Als die Planungen hier am Standort konkreter wurden, habe ich mit Jens Gerstenberger einen erfahrenen Adipositas-Coach und Koordinator ins Boot geholt, um für Adipositas-Erkrankte ein Angebot aufzubauen.
Sie sind jedoch nicht zufällig auf das Thema gestoßen.
Dr. Stefan Bollmann: Die Adipositas-Chirurgie gehört zu meinen ureigenen Fachgebieten. Ich kann auf über zwei Jahrzehnte praktische Erfahrung, darunter Schlauchmagenbildungen, Magenbypässe, etc., zurückblicken. Deshalb lag es für mich nahe, nach meiner Ernennung zum Chefarzt für Allgemein- und Viszeralchirurgie auch in Attendorn die Versorgungsstrukturen wie bei meiner vorangegangenen Station erfolgreich zu etablieren.
Es ist hinlänglich bekannt, dass eine OP ein wichtiger Schritt gegen Adipositas, aber kein alleinseligmachendes Wundermittel ist.
Jens Gerstenberger: Das stimmt. Der Eingriff ist nur ein Baustein einer ganzheitlichen Therapie hin zu einem gesünderen Leben. Besonders bedeutsam ist die richtige Begleitung bei der Vorsorge, und vor allem auch der Nachsorge nach einer OP. Was, wie oft und wieviel darf ich überhaupt noch essen? Warum ist der Aufbau des Organs „Muskulatur“ so wichtig? Wie strukturiere ich meinen neuen Alltag nach der OP?
Für die erfolgreiche Umstellung der Lebensgewohnheiten und weiteren Begleitung haben wir ein Hilfenetz gespannt, bestehend aus psychologischer Betreuung, Selbsthilfegruppe, Anträge bei Krankenkassen, Ernährungsberatung und vielem mehr. Als Koordinator der Adipositas-Therapie nehme ich in Attendorn die Rolle eines Lotsen innerhalb dieses Netzwerkes ein, das unsere Patienten sicher durch diese sehr komplexe Behandlung bringt.
Und diese Behandlung muss nicht zwingend auf einer OP aufbauen?
Jens Gerstenberger: Richtig, das ist nicht zwangsläufig für jeden der richtige Weg. Adipositas-Therapien münden nicht immer in einer Operation. Wenn wir feststellen, dass auch mit konservativen Methoden, sprich mit Sport, Ernährungsumstellung oder Psychotherapie eine nachhaltige Gewichtsreduktion und Verbesserung des Zustands erzielt werden kann, versuchen wir gemeinsam mit jedem Betroffenen den individuell passenden Ansatz zu finden und realistische Etappenziele zu setzen.
Apropos Operationen: Bei der Krankenhausplanung NRW fand der Antrag der Helios Klinik Attendorn, bariatrische Magen-Operationen durchzuführen, keine Berücksichtigung. Was bedeutet die Entscheidung für das Therapieangebot?
Stefan Bollmann: Herr Gerstenberger und ich haben im Sommer damit begonnen, die Strukturen für eine ganzheitliche Adipositas-Therapie, die ursprünglich Operationen miteinschließen sollte, in Attendorn aufzubauen. Wir waren und sind von der Notwendigkeit für die regionale Gesundheitsversorgung überzeugt und hatten aus diesem Grund beim Land NRW beantragt, adipositaschirurgische Eingriffe an unserem Standort in der Krankenhausplanung zu berücksichtigen. Die Entscheidung dagegen bedauern wir natürlich sehr, sie betrifft aber nur einen Teil unseres Angebotes für Menschen mit starkem Übergewicht. Alle nichtchirurgischen Therapiebausteine werden wir weiterhin anbieten.
Jens Gerstenberger: Auch für den konservativen Behandlungskomplex sind wir vom Start weg im vergangenen Juli als Anlaufstelle angenommen wurden – mit einer anhaltend großen Resonanz. Dies umfasst auch die Prävention und Behandlung von Folgeerkrankungen, zu der ich die Betroffenen in meinen Sprechstunden telefonisch und persönlich in der Klinik berate. Inzwischen haben sich schon zwei Selbsthilfegruppe in Attendorn und Finnentrop etabliert, die ich selbst ehrenamtlich leite, sodass Betroffene nicht nur bei uns behandelt werden, sondern sich auch mit anderen vernetzen und austauschen können. Aufgrund der großen Nachfrage sind weitere in der Planung, um allen Betroffenen ein passendes Austauschforum anzubieten.
Und wenn der Patient doch eine OP benötigt?
Stefan Bollmann: Auch dann bleiben wir durch einen starken Kooperationspartner eine verlässliche Anlaufstelle. Mit dem Adipositaszentrum am Helios Klinikum Siegburg haben wir einen erfahrenen und zertifizierten Partner gewinnen können, mit dem wir eng zusammenarbeiten werden.
Unsere Kolleginnen und Kollegen in Siegburg um Bente Petersen, ärztliche Leiterin des Adipositaszentrums, sowie Dr. Joachim Seifert, Chefarzt der Allgemein- und Viszeralchirurgie, verfügen über eine ausgewiesene Expertise auf dem Gebiet der Adipositaschirugie. Davon können auch unsere Patienten in Attendorn künftig profitieren. Wir haben unsere beiden Abteilungen eigens dafür eng verzahnt – so dass ich auch als Operateur eingebunden bin.
Wo liegen für Patienten aus der Region Südwestfalen die Vorteile, sich im Rheinland operieren zu lassen?
Stefan Bollmann: Zugegeben, es klingt auf den ersten Blick ein wenig aufwendig, so eine relativ weite Wegstrecke auf sich zu nehmen. Die Vorteile liegen aber bei genauerem Hinsehen auf der Hand: Die komplette Behandlung kann aus einem Guss erfolgen, denn die jeweils notwendigen bariatrischen Eingriffe nehme ich selbst in Siegburg vor. Die Patienten müssen nur für den Eingriff nach Siegburg kommen und dort drei bis vier Nächte zur Beobachtung bleiben. Angesichts einer lebenslangen Dauer der Behandlung und Betreuung ist das ein sehr überschaubarer Zeitraum.
Nach diesem kurzen stationären Aufenthalt behandeln mein Team und ich hier im gewohnten Umfeld mit den bereits bekannten Gesichtern und den vertrauten Leistungen – Ernährungscoaching, Sportcoaching, Mentalcoaching und vielem mehr – weiter.
Für Betroffene, die sich für einen begleiteten Weg mit uns entscheiden, können wir also eine individuelle und optimale Adipositas-Therapie mit den obligatorischen Vor‑, Aktiv- und Nachsorgeprogrammen hier in Attendorn anbieten.
- Dr. Stefan Bollmann (56) ist seit 2001 Facharzt für Chirurgie und leitet seit01.09.2023 als Chefarzt die Abteilung für Allgemein- und Viszeralchirurgie an der Helios Klinik Attendorn. Seit 2007 nimmt Dr. Bollmann bariatrische Eingriffe vor.
- Jens Gerstenberger (57) ist Koordinator der Adipositas-Therapie an der Helios Klinik Attendorn und berät Patientinnen und Patienten. Er leitet drei Selbsthilfegruppen: in Attendorn, Finnentrop und Olpe. Als „trockener Adipöser“ verfügt er über einen ganz besonderen Blick auf das Thema.