Oberarzt Dursun Arslan spricht über die geriatrische Behandlung in den GFO Kliniken Südwestfalen
Der Altersmedizin oder Geriatrie kommt bei den aktuellen demographischen Entwicklungen eine immer wichtigere Rolle zu. Das zeigt auch die Tatsache, dass das Landesgesundheitsministerium jüngst in seinem Votum zum NRW-Krankenhausplan die Geriatrie am St. Martinus-Hospital Olpe gestärkt hat. Doch wie erkennen die Geriater überhaupt altersbedingte Krankheiten? Und was sind die größten Herausforderungen in der Behandlung geriatrischer Patienten. Das beantwortet Dursun Arslan, Oberarzt in der Inneren Medizin und Sektionsleiter Geriatrie in den GFO Kliniken Südwestfalen im Interview. Dabei geht er auch auf die Wichtigkeit des Sozialdienstes bei der Versorgung von Geriatrie-Patienten ein.
Welche diagnostischen Tests und Verfahren sind besonders wichtig für die frühzeitige Erkennung von altersbedingten Krankheiten?
Durch die demografische Entwicklung nimmt die Anzahl älterer und hochbetagter Menschen in der Notaufnahme der Krankenhäuser zu. Für diese Patienten muss man spezielle medizinische Konzepte entwickeln. Wir haben bei uns im Haus den ISAR-Score, der international weit verbreitet ist. Bei Aufnahme in der Notfallambulanz werden den Patienten sechs leichte Fragen gestellt, die sie mit Ja und Nein beantworten sollen. Durch die Antworten ergibit sich der ISAR-Score. Ist dieser höher als Zwei, kann man nachfolgend ein geriatrisches Basis-Assessment durchführen. Das dient der Erfassung der Probleme, aber auch der Feststellung erhaltener Funktionen des älteren Patienten. Es ist ein diagnostischer Prozess zur systematischen Erfassung der medizinischen, funktionellen und psychosozialen Ressourcen und Probleme betagter Patienten. Auf dieser Grundlage wird ein umfassender Plan zur weiteren ganzheitlichen Behandlung und Betreuung aufgestellt. Wir identifizieren also, ob Patienten für eine Frührehabilitation in Betracht kommen. Nicht jeder alte Mensch ist automatisch eingeschränkt. Wir haben manchmal 90-jährige Patienten, die topfit sind. Die brauchen keine spezielle geriatrische Behandlung.
Welche spezifischen Herausforderungen gibt es bei der Behandlung geriatrischer Patienten, und wie werden diese bewältigt?
Aus medizinischer, internistischer Sicht stellt die Behandlung hochbetagter und multimorbider Patienten ein komplexes Problem dar. So gibt es bei vielen Patienten multiple Erkrankungen. Neben dieser Multimorbidität ist die Polypharmazie, also die Einnahme von vielen Medikamenten täglich und der häufig verzögerte Genesungsverlauf von geriatrischen Patienten als Herausforderung zu erwähnen. Leider gibt es widersprüchliche Empfehlungen von den Fachgesellschaften sowie eine mangelnde Berücksichtigung der Multimorbidität in den evidenzbasierten Leitlinien. So stellt eine optimierte Behandlung dieser Patientengruppe für alle Fachkollegen eine große Herausforderung dar. Wir als Geriater setzen da an. Wir wollen durch die individuelle geriatrische Betrachtung einzelner Patienten die Umsetzung der ganzheitlichen Behandlung versuchen, diesen Problemen entgegenzuwirken.
Welche Rolle spielen interdisziplinäre Teams in der ganzheitlichen Behandlung geriatrischer Patienten?
Alte Menschen bringen ja in der Regel nicht nur eine einzelne akute Erkrankung mit. Stichwort Polymorbidität- Dann sind auch die pflegerischen Aspekte eine Herausforderung. Darüber hinaus brauchen Geriatrie-Patienten sicherlich auch therapeutische Unterstützung, Ergotherapie oder Physiotherapie. Schlaganfallpatienten brauchen zum Beispiel auch logopädische Betreuung. Sozialmedizinische Aspekte sind wichtig, da spielt dann auch der Sozialdienst eine Rolle. Ganz wichtig ist es, dass das interdisziplinäre Team in der Geriatrie als Einheit agiert. Mit dem Ziel, dass der Patient eine bestmögliche medizinische, pflegerische, therapeutische und sozialmedizinische Unterstützung bekommt.
Welche speziellen Herausforderungen und Lösungen gibt es bei der Medikation älterer Patienten, um Wechselwirkungen und Nebenwirkungen zu minimieren?
In der Geriatrie haben wir häufig Medikamentenkaskaden, aus denen häufige Medikamentengaben und Nebenwirkungen resultieren. Wichtig ist in der Inneren Medizin und vor allem in der Geriatrie, dass man auf Nutzen und Risiko der Medikation überprüft. Medikamente ansetzen geht relativ leicht, wenn das Risiko den Nutzen aber überwiegt, muss man Medikamente auch wieder absetzen. Das geschieht leider nicht häufig. Wir haben manchmal Patienten, die mit 15 verschiedenen Medikamenten ins Haus kommen. Wir streichen dann das ein oder andere raus, wenn das möglich ist. Medikamente, die zwingend genommen werden müssen, werden natürlich beibehalten. Dann gibt es die PRISCUS-Liste, nach der sich jeder Mediziner richten kann. Die kann man überall im Internet einsehen. Dort sind Medikamente aufgeführt, die man bei Geriatrie-Patienten im hohen Alter vermeiden sollte und welche man eher ansetzen sollte. Als Beispiel vermeiden wir Benzodiazepine in der Geriatrie, weil sie zu Stürzen und Abhängigkeit führen können. Patienten haben bei uns häufig Einschlaf- oder Durschlafstörungen, die auf Melatoninmangel beruhen. Da geben wir Primär Melatonin als Medikation und keine Benzodiazepine, die dämpfend auf das Zentrale Nervensystem wirken. So können wir Nebenwirkungen und Stürze vermeiden.
Wie wird sichergestellt, dass geriatrische Patienten eine kontinuierliche und koordinierte Versorgung erhalten, wenn sie mehrere chronische Krankheiten haben?
Das wichtigste ist immer die Kommunikation, nicht nur innerhalb des interdisziplinären Teams., da ist die Kommunikation bei uns sehr gut etabliert. Aber auch fachübergreifend zwischen den betreuenden Ärzten. Der Behandlungshorizont in der Geriatrie bei uns ist in der Regel sehr überschaubar, es handelt sich im zwei bis drei Wochen. Daher ist es wichtig, dass der betreuende Hausarzt alle wichtigen Informationen bekommt, um den Patienten weiter behandeln zu können. Auch die Kommunikation mit stationären Pflegeheimen oder ambulanten Pflegediensten ist sehr wichtig. Besonders muss man aber die Angehörigen zeitnah mit ins Boot nehmen und über Erkrankungen und Behandlungen aufzuklären.
Welche Rolle spielt die Familie und das soziale Umfeld in der Behandlung und Genesung von geriatrischen Patienten?
Das sind die primären Bezugspersonen. Je stärker das soziale Netz ist, desto schneller kann man Patienten wieder in das häusliche Umfeld reintegrieren. Nach der Akutphase im Krankenhaus ist es wichtig, dass die Patienten ein soziales Netz haben, das sie auffängt. Da sind engagierte und gut informierte Angehörige ganz wichtig. Sie müssen ja auch die Maßnahmen, die wir hier ergreifen oder für den ambulanten Bereich empfehlen, umsetzen. Die Angehörigen sind Bindeglied zwischen Ärzten und Patienten. Wer ein starkes soziales Netzt hat, in dem er gut integriert ist, genest auch schneller. Das ist auch das Thema Einsamkeit im Alter. Wer kein Netz hat, wird depressiv, vereinsamt, entwickelt eine Immunschwäche und so weiter. Das sorgt für seelische und körperliche Erkrankungen.
Wie wird der Übergang von der stationären Behandlung im Krankenhaus zur Pflege zu Hause oder in einem Pflegeheim organisiert und erleichtert?
Da muss ich den Sozialdienst hervorheben. Die Mitarbeiterinnen sind alle klasse. Sie sind sehr engagiert, machen mehr als sie müssen. Der Sozialdienst übernimmt die Kommunikation mit Angehörigen, Pflegeheimen, Kurzzeitpflege, Senioreneinrichtungen, mit Ämtern, wenn eine Betreuung eingerichtet werden muss. Auf die kann man sich blind verlassen. Der Übergang wird sehr gut koordinativ umgesetzt.