„Auch wenn diese Formen der Gewalt sich in engen persönlichen Beziehungen und im sozialen Nahraum ereignen, sind sie keine private Angelegenheit. Sie wirken sich auf uns alle aus.“ Mit diesen Worten eröffnete Sabine Nosiadek das jährliche Pressegespräch des „Netzwerks gegen Häusliche Gewalt im Kreis Olpe“, das in dieser Woche im Olper Kreishaus stattfand.
Sie ist seit einem Jahr Gleichstellungsbeauftragte des Kreises Olpe und Koordinatorin des Netzwerks, das 2002 gegründet wurde und dem unter anderem Frauenberatungsstelle und Frauenhaus sowie die Gleichstellungsbeauftragten aller Kommunen und des Kreises, Polizei, Jugendamt, der Opferschutzbeauftragte der Polizei, der Weisse Ring, der Kinderschutzbund, Schwangerschaftskonflikt-Beratungsstellen, das Mutter-Kind-Haus, Therapeuten, eine Rechtsanwältin, die Staatsanwaltschaft, unterschiedliche Beratungsstellen mit dem Schwerpunkt Frauen, Kinder, Familie, aber auch Männer, sowie soziale Dienste aus dem Bereich angehören.
In dem Pressegespräch berichteten neben Sabine Nosiadek Anette Pfeifer von der Frauenberatungsstelle des Vereins „Frauen helfen Frauen“ in Olpe, Sylvia Rath vom Frauenhaus Olpe, Michael Kopsan, Opferschutzbeauftragter der Kreispolizeibehörde Olpe, sowie Michael Meinerzhagen, zuständig für die Kriminalprävention und stellv. Opferschutzbeauftragter der Kreispolizeibehörde, über Zahlen, Daten und Fakten dieses sensiblen Themenfelds.
Häusliche Gewalt zeigt sich nicht allein in körperlichen und sexuellen Übergriffen. Beleidigungen, Jähzorn, Beschädigung von Eigentum oder das Androhen, Kinder, Haustiere, Freunde oder Verwandte zu verletzen, zählen ebenso dazu wie das Unterbinden von Kontakten zu Freunden, finanzielle Einschränkungen oder „Hausarrest“.
Statistik der Polizei:
Hinter den nüchternen Zahlen stecken viele persönliche Schicksale. Michael Kopsan erläuterte, dass die Polizei im Kreis Olpe im vergangenen Jahr 291 Strafanzeigen wegen Häuslicher Gewalt aufgenommen habe. Im Vergleich zum Vorjahr (226 Fälle) sei dies ein „gewaltiger Anstieg“ von annähernd 29 Prozent, betonte Kopsan. Zudem ist er überzeugt, dass es „ganz sicher eine sehr hohe Dunkelziffer gibt“.
Bei Häuslicher Gewalt sind die Opfer überwiegend weiblich. Im vergangenen Jahr wurden von der Polizei 208 weibliche Opfer gezählt, aber auch 106 männliche. Bis vor wenigen Jahren tauchten männliche Leidtragende von Häuslicher Gewalt nur sehr selten auf.
In der Opferstatistik der Polizei sind 28 Kinder, 29 Jugendliche, 21 Heranwachsende, 221 Erwachsene sowie 15 Senioren aufgelistet. Als Täter werden hier vier Kinder, 15 Jugendliche, 22 Heranwachsende, 243 Erwachsene und acht Senioren geführt.
Das Polizeigesetz NRW ermöglicht der Polizei, gegen Tatverdächtige ein zehntägiges Rückkehrverbot in die gemeinsame Wohnung auszusprechen. Davon machte die Kreispolizeibehörde im vergangenen Jahr 124-mal Gebrauch (Vorjahr 109). „Wer schlägt, der geht“, fasste Michael Kopsan die Regelung in ein griffiges Zitat zusammen. In diesen zehn Tagen sollen Opfer Zeit haben, sich Rat zu holen oder bei Gericht ein Annäherungsverbot zu beantragen.
Kopsan machte ferner darauf aufmerksam, dass Häusliche Gewalt keinen eigenen Straftatbestand darstelle, sehr wohl aber die unter diesem Begriff begangenen Taten wie psychische, physische und sexuelle Gewalt. In allen Fällen werde von Amts wegen ermittelt.
Beratungen beim Verein „Frauen helfen Frauen“:
Die Polizei gab von 31 betroffenen Frauen die Kontaktdaten an die Beratungsstelle des Vereins „Frauen helfen Frauen“ weiter, 23 Frauen nahmen das Angebot einer persönlichen Beratung dort an.
Insgesamt führte die Frauenberatungsstelle im vergangenen Jahr 1.512 Einzelberatungen sowie 321 Beratungen mit digitalen Medien durch. Der Bedarf an Beratung, Unterstützung und therapeutischer Begleitung durch die Frauenberatungsstelle Olpe sei also nach wie vor sehr hoch, betonte Anette Pfeifer.
Die ratsuchenden Mädchen und Frauen kämen aus allen sozialen Schichten sowie aus allen Gebieten des Kreises Olpe. Das Alter der Mädchen und Frauen in den Beratungsgesprächen:
- 14 bis 17 Jahre: 1 Prozent;
- 18 bis 25 Jahre: 9 Prozent;
- 26 bis 40 Jahre: 28 Prozent;
- 41 bis 50 Jahre: 24 Prozent;
- 51 bis 60 Jahre: 15 Prozent;
- über 60 Jahre: 17 Prozent;
- 6 Prozent machten keine Angabe.
82?Prozent der Mädchen und Frauen, die die Beratung annehmen, besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit (davon 13?Prozent mit Zuwanderungsgeschichte).
89 Prozent der beratenen Mädchen und Frauen sind von physischer, psychischer oder sexualisierter Gewalt betroffen. 71 Prozent entfallen auf physische und psychische Gewalt, 18 Prozent auf sexuelle Gewalt und 2 Prozent auch auf digitale Gewalt. Die Täter waren zu 91 Prozent männlich, bei 5 Prozent gab es auch Täterinnen und bei 4 Prozent eine Täterinnengruppe (Doppelnennungen möglich).
Die sexualisierte Gewalt wie Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, aktueller und zurückliegender Missbrauch, Folter oder sexuelle Belästigung wurde hauptsächlich (84 Prozent) von Lebensgefährten, Ehemännern, Ex-Partnern und Verwandten verübt. Bei 7?Prozent gab es auch Fremdtäter, bei 15 Prozent Bekannte und professionelle Helfer. Oftmals, führte Anette Pfeifer ferner aus, sei in den Gesprächen eine umfassende Gewaltproblematik deutlich geworden – auch ökonomische und soziale Gewalt – also die Kontrolle über alles. Dadurch werde es für Betroffene besonders schwer, einen Ausweg zu finden, vor allem dann, wenn diese bereits in der Kindheit Opfer von Misshandlung und/oder sexuellem Missbrauch geworden seien.
Anette Pfeifer berichtete außerdem von den zahlreichen Angeboten und Veranstaltungen der Frauenberatungsstelle. Seit Mai 2022 verstärkt Lea Ebbinghaus als neue junge Mitarbeiterin die Präventionsarbeit.
Mehr Informationen: Frauenberatungsstelle Olpe, Friedrichstraße 24, 57462 Olpe, Tel. (02761) 1722, Fax (02761) 1722, E-Mail info@frauenberatungsstelle-olpe.de, Homepage www.frauenhelfenfrauen-olpe.de.
Belegung des Frauenhauses:
Im Rahmen des Pressegesprächs zur Häuslichen Gewalt im Kreis Olpe stellte Sylvia Rath Zahlen zur Belegung des Frauenhauses Olpe vor. Allein im vergangenen Jahr wurden hier 39 Frauen (Vorjahr 43) und 43 Kinder (37) aufgenommen.
Das Alter der 2022 aufgenommenen Frauen teilt sich wie folgt auf:
- bis 18 Jahre: 0?Prozent;
- 19 bis 25 Jahre: 20 Prozent;
- 26 bis 40 Jahre: 62 Prozent;
- 41 bis 60 Jahre: 18 Prozent.
Die Kinder waren zu 58 Prozent unter fünf Jahre alt, zu 40?Prozent zwischen sechs und 14 Jahre und zu 2 Prozent über 14 Jahre. Aufnahmegründe waren Misshandlung von den Ehemännern (69?Prozent), Misshandlung durch Partner (18 Prozent), Misshandlung durch „sonstige Personen“ 13 Prozent, von Zwangsheirat bedroht (0 Prozent).
Die Aufgenommenen stammten zu 13?Prozent aus dem Kreis Olpe, zu 23?Prozent aus dem Kreis Siegen-Wittgenstein und zu 64 Prozent aus anderen Kreisen. 55?Prozent der Frauen und Kinder waren nichtdeutscher Herkunft.
Die Aufenthaltsdauer der Frauen und Kinder wird von Jahr zu Jahr länger:
- bis zu sieben Tage: 43?Prozent;
- bis zu einem Monat: 27 Prozent;
- bis zu drei Monaten: 12?Prozent;
- bis zu sechs Monaten: 6?Prozent;
- bis zu einem Jahr: 9?Prozent;
- länger als ein Jahr: 3 Prozent.
Diesbezüglich betonte Sylvia Rath, dass der Mangel an bezahlbarem Wohnraum erhebliche Auswirkungen auf das Frauenhaus habe. Deshalb verlängere sich die Aufenthaltsdauer erheblich, teilweise bis weit über ein Jahr hinaus, was an und für sich im Widerspruch zu einer Notunterkunft stehe. Wegen Überbelegung mussten viele Aufnahmeanfragen abgelehnt werden.
Bundesweites Hilfetelefon
In dem Pressegespräch wies Sabine Nosiadek ferner auf das bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ (www.hilfetelefon.de) hin. Das ist rund um die Uhr unter Tel. 0800 / 0116016 kostenfrei erreichbar. Bei Bedarf werden Dolmetscherinnen in 17 Sprachen zum Gespräch hinzugeschaltet.
Für Männer gibt es in Olpe seit einigen Jahren auch ein spezielles Beratungsangebot, das Daniel Schulte vom Katholischen Sozialdienst an der Mühlenstraße anbietet.