Dr. Björn Hendrik Gemein spricht über die Möglichkeiten der Interventionellen Radiologie

Radiologen sitzen „nur“ vor dem Monitor und begutachten Bilder? Weit gefehlt. Denn neben der diagnostischen gibt es auch den Teilbereich der interventionellen Radiologie. Dr. Björn Hendrik Gemein hat seinen beruflichen Fokus auf diesen Bereich gelegt. Er wurde von der Deutschen Gesellschaft für Interventionelle Radiologie (DeGIR) zertifiziert und ist Leitender Oberarzt des Instituts für Radiologie und Nuklearmedizin der GFO Kliniken Südwestfalen. Im Interview erklärt er, was man unter der interventionellen Radiologie versteht und welche Vorteile sie für die Patient:innen hat. Darüber hinaus geht er auf die Vor- und Nachsorge bei minimalinvasiven radiologischen Eingriffen ein.
Was versteht man unter minimalinvasiven Eingriffen in der Radiologie?
Minimalinvasive Verfahren bedeuten, dass man in den Körper eingreift, dabei jedoch nur minimalen Schaden anrichtet, vergleichbar mit der „Schlüssellochtechnik“. Im Gegensatz zu einer klassischen Operation, bei der ein großer Schnitt gemacht wird, geht man hier mit viel kleineren Eingriffen vor. Im Grunde genommen geht es darum, über kleine Zugänge in den Körper einzugreifen, sei es durch Katheter oder Nadeln. Ein Beispiel aus der Praxis: Bei der arteriellen Verschlusskrankheit (AVK), auch bekannt als Schaufensterkrankheit, oder im Fall von Wundheilungsstörungen bei Diabetikern kann man mit einem Ballonkatheter oder Stent die Durchblutung der Beinarterien wiederherstellen. Auch wenn diese Maßnahmen die Symptome lindern, ist es wichtig zu wissen, dass keine Lösung für immer hält, aber invasive Eingriffe häufig wiederholt werden können. Die interventionelle
Radiologie ist sehr innovativ, die Materialien und Methoden unterliegen einer dynamischen Weiterentwicklung und werden immer weiter optimiert, was die Handhabung und Anwendung sowie den Therapieerfolg weiter verbessert und die Anwendungsbereiche zunehmend vergrößert.
Bei welchen Krankheitsbildern kommen solche Eingriffe zum Einsatz?
In bestimmten Fällen arbeitet die interventionelle Radiologie eng mit der Gefäßchirurgie zusammen. So kann etwa vor einer Bypass-Operation der Blutfluss über die Becken- oder Beinarterien verbessert werden – ähnlich wie man bei einem Wassersystem zuerst den Hauptzulauf optimiert, bevor das Wasser durch die Leitungen strömt. Akute Gefäßverschlüsse, etwa durch Blutgerinnsel, werden bevorzugt mechanisch entfernt, um das Risiko von Blutungen bei medikamentöser Therapie zu reduzieren.
Ein häufiges Einsatzgebiet ist auch die Blutstillung, beispielsweise bei Darmblutungen infolge von Divertikeln oder nach operativen Eingriffen. Hier kann das betroffene Gefäß gezielt verschlossen werden – etwa mit kleinen Partikeln, Metallspiralen oder speziellem Gewebekleber (Histoacryl) – ohne dass ein erneuter chirurgischer Eingriff notwendig ist.
Insbesondere bei Patienten, die keine größeren Operationen mehr verkraften, bieten minimalinvasive Techniken eine schonende Alternative. Da keine großen Wunden entstehen, wird der Organismus deutlich weniger belastet – ein entscheidender Vorteil für ältere oder geschwächte Menschen.
Auch in der Tumortherapie spielt die interventionelle Radiologie eine wichtige Rolle. Bei Lebertumoren ermöglicht die transarterielle Chemoembolisation (TACE) eine gezielte Verabreichung der Chemotherapie direkt an den Tumor. Dadurch wird die Wirkung auf das Tumorgewebe maximiert, während systemische Nebenwirkungen reduziert werden.
Verschlüsse oder Engstellen in Venen – etwa beim May-Thurner-Syndrom oder bei Dialysezugängen – lassen sich mithilfe von Stents oder Ballonkathetern beseitigen. Dadurch wird die Durchblutung verbessert und die Funktion der Gefäße wiederhergestellt.
Bei Bluthochdruck, der durch eine verengte Nierenarterie verursacht wird, kann die Erweiterung dieser Engstelle den Blutdruck normalisieren und eine medikamentöse Behandlung teilweise ersetzen.
Auch bei Infektionen kommt die interventionelle Radiologie zum Einsatz, etwa bei der diagnostischen Punktion eines Abszesses. Durch das Einlegen einer Drainage kann der Eiter gezielt abgeleitet und der Abszess direkt gespült werden – ein Vorteil, da Antibiotika oft nur den Randbereich erreichen.
Zur Schmerzlinderung bei Bandscheibenvorfällen wird im CT die periradikuläre Therapie (PRT) eingesetzt. Hierbei werden Medikamente gezielt an die gereizte Nervenwurzel injiziert – eine ambulant durchführbare Methode, die schnelle Erleichterung bei ausstrahlenden Schmerzen bieten kann.
Auch bei Arthrose im Knie gibt es minimalinvasive Möglichkeiten: Über einen Mikrokatheter werden Partikel in die versorgenden Gefäße eingebracht, um Schmerzrezeptoren zu blockieren. Diese Behandlung bietet kurzfristige Linderung mit geringem Aufwand.
Bei schmerzhaften Myomen in der Gebärmutter stehen zwei moderne Verfahren zur Verfügung: Der magnetresonanztomographiegesteuerte fokussierte Ultraschall (MRgFUS), bei dem gezielte Hitzepunkte das Myom zerstören, und die Myomembolisation, bei der Partikel den Blutfluss zum Myom unterbrechen. Beide Methoden kommen ohne operative Eingriffe aus und ermöglichen eine effektive Beschwerdelinderung.
Zur Behandlung von Tumoren bietet die Thermoablation mehrere Verfahren. Bei der Radiofrequenzablation (RFA) oder der Mikrowellenablation wird das Tumorgewebe durch Hitze zerstört. Beide Verfahren sind minimalinvasiv und meist unter Vollnarkose durchführbar. Sie können auch in mehreren Tumorbereichen nacheinander angewendet werden, um möglichst viel Gewebe zu erreichen.
Alternativ kann die Kryoablation eingesetzt werden, bei der Kälte zur Zerstörung des Tumorgewebes genutzt wird. Eine weitere, noch neuere Methode ist die irreversible Elektroporation (IRE), bei der starke elektrische Impulse gezielt Tumorzellen zerstören, ohne umliegendes Gewebe stark zu schädigen oder sichtbare Narben zu hinterlassen.
Allen diesen Verfahren ist gemeinsam, dass sie den Körper deutlich weniger belasten als konventionelle chirurgische Eingriffe und je nach Methode ist keine Vollnarkose erforderlich. Die Krankenhausaufenthalte sind kürzer und die Erholungsphase verläuft meist unkompliziert – etwa nach einer Mikrowellenablation, bei der lediglich leichte Beschwerden auftreten, die spätestens nach ein bis zwei Wochen wieder abklingen.
Welche Vorteile haben minimalinvasive radiologische Verfahren gegenüber herkömmlichen Operationen?
Sie sind körperlich deutlich weniger belastend als traditionelle Operationen. Auch körperlich geschwächte Patienten vertragen den Eingriff meist besser und haben eine kürzere Hospitalisierungszeit, was bedeutet, dass sie schneller aus dem Krankenhaus entlassen werden können.
Welche Bildgebungsverfahren werden für minimalinvasive Eingriffe genutzt?
Für minimalinvasive Eingriffe werden verschiedene Bildgebungsverfahren genutzt, wie beispielsweise die Angiographie. Ebenso wird die Computertomographie (CT) eingesetzt, wobei die Schichtbilder durch die Drehung der Röntgenröhre aufgenommen und dann vom Computer in ein 3D-Modell umgewandelt werden. Es gibt auch das MRT (Magnetresonanztomographie), das für Interventionen verwendet werden kann, wobei jedoch alles MRT-tauglich sein muss, da das Verfahren mit einem starken Magnetfeld arbeitet. Biopsien und Gewebeentnahmen sind auch im MRT möglich, jedoch seltener üblich, z.B. bei Brustbiopsien. Brusteingriffe erfolgen üblicherweise in der Mammographie, wo Markierungen gesetzt werden, um Tumoren zu lokalisieren. CT-gesteuert kann eine ähnliche Methode auch zur Markierung von Lungenmetastasen angewendet werden.
Ultraschall wird auch als bildgebendes Verfahren eingesetzt, etwa um Gefäße zu lokalisieren oder Punktionen durchzuführen. Bei fortgeschrittener Leberzirrhose kann das Verfahren auch zur Anlage eines TIPSS (transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt) genutzt werden, um den erhöhten Druck in der Pfortader zu verringern.
Gibt es Kontraindikationen für bestimmte minimalinvasive Eingriffe?
Kontraindikationen für minimalinvasive Eingriffe gibt es, aber sie sind selten. Bei Patienten mit sehr schlechten Gerinnungswerten oder bestimmten Lebererkrankungen, wie etwa fortgeschrittener Zirrhose, können solche Verfahren kontraindiziert sein. Auch bei Patienten mit schweren Lungenerkrankungen könnte eine Intervention problematisch sein, insbesondere wenn es darum geht, in die Lunge zu punktieren. In den meisten Fällen handelt es sich jedoch um relative Kontraindikationen, bei denen die Entscheidung vom Zustand des Patienten abhängt.
Wie muss sich ein Patient vorbereiten?
Medikamente, die stark gerinnungshemmend wirken, sollten vorab abgesetzt werden. Wer eine schlechte Nierenfunktion hat und Metformin als Diabetesmedikament nimmt, sollte es ebenfalls vorübergehend absetzen. Die übliche Medikation kann jedoch beibehalten werden, insbesondere bei Blutdrucksenkern – diese sollten ebenfalls vor der Maßnahme eingenommen werden.
Patienten missverstehen manchmal die Aufforderung, nüchtern zu erscheinen. Das Nüchternsein hat einen wichtigen Hintergrund: Wenn ein Patient während der Untersuchung plötzlich Kreislaufprobleme bekommt und intubiert werden muss, könnte er erbrechen. Wenn sich Nahrung im Magen befindet, könnte diese in die Lunge gelangen. Aus diesem Grund sollte der Magen leer sein. Medikamente können jedoch eingenommen werden. Manchmal ist es für den Patienten auch hilfreich, sich vorab zu informieren, wie der Ablauf der Untersuchung ist. Das kann helfen, entspannter zu sein. Ich biete den Patienten auch an, ihnen jeden Schritt vor oder während der Maßnahme zu erklären, wenn sie es wünschen, damit sie besser darauf vorbereitet sind.
Bei einer CT-gesteuerten Intervention ist es wichtig, dass der Patient eine stabile Atemposition einnimmt. Beim Atmen bewegt sich der Körper, und für genaue Bildgebung muss die Atemtiefe konstant bleiben. Ich rate den Patienten, sich darauf vorzubereiten und gegebenenfalls vorab zu üben.
Für längere Eingriffe empfehlen wir, dass sich der Patient direkt einen Blasenkatheter legen lässt. Das Kontrastmittel und die Infusionen führen dazu, dass Urin ausgeschieden werden muss, und der Patient sollte dies nicht während der Maßnahme tun müssen. Stuhlgang ist normalerweise weniger problematisch, aber auch hier ist es hilfreich, wenn der Patient vorab nicht schwer verdauliche Kost zu sich nimmt und vor der Maßnahme die Toilette aufsucht.
Welche Nachsorgemaßnahmen sind erforderlich?
Die Nachsorge hängt von der Art des Eingriffs ab. In den meisten Fällen sind die Schmerzen nur für wenige Stunden bis bestenfalls Tage spürbar. Nach dem Eingriff sollte der Patient die Punktionsstelle gut im Auge behalten. Wenn er plötzlich eine Blutung oder Schmerzen bemerkt oder ein merkwürdiges Gefühl hat, sollte er sofort das Pflegepersonal informieren. In den ersten Stunden nach der Punktion sind diese Beobachtungen besonders wichtig. Bei Punktionen, bei denen keine Arterie punktiert wird, gibt es normalerweise keine Komplikationen und die Ruhezeit ist mit 1-2 Stunden relativ kurz. Wird eine Arterie punktiert, beispielsweise an der Leistenarterie, erhält der Patient einen Druckverband und muss bis zum nächsten Tag Bettruhe halten.
Wie lange dauert die Erholungszeit nach einem solchen Eingriff?
Der Patient kann in der Regel nach 24 Stunden wieder normal aktiv sein. In einigen Fällen, etwa bei einer Drainage, kann die Erholung schneller erfolgen. Bei anderen Eingriffen, wie CT-gesteuerten Punktionen, reicht eine Liegezeit von zwei Stunden aus. Wenn die Lunge punktiert wird, besteht ein kleines Risiko für einen Pneumothorax (Lungenkollaps). Hierzu erfolgt eine Röntgenkontrolle, um sicherzustellen, dass alles in Ordnung ist. In den meisten Fällen merken Patienten von einem kleinen Pneumothorax nichts und er hat keine weiteren Konsequenzen, wird aber zur Sicherheit überwacht; ein größerer Pneumothorax wird ggf. mittels Drainage behandelt.
Der Patient befindet sich also in einem sicheren Umfeld, in dem mögliche Komplikationen schnell erkannt und behandelt werden können.