Samstag, 19. April 2025

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„Das The­ma Demenz wird uns über­rol­len“

Atten­dor­ner Medi­zin­ge­sprä­che mit Chef­arzt Dr. Vol­ker Spart­mann: “Demenz­be­hand­lung: Medi­ka­men­te, Gehirn­jog­ging oder was sonst?”

Die ste­tig stei­gen­de Zahl an Demenz­er­kran­kun­gen stellt Gesell­schaft und Medi­zin vor enor­me Her­aus­for­de­run­gen. Wel­che Behand­lungs­mög­lich­kei­ten es gibt, war­um Demenz para­do­xer­wei­se das Resul­tat einer guten gesund­heit­li­chen Ver­sor­gung sein kann, und wel­che Rol­le Tages­kli­ni­ken für die Ver­sor­gung von Senio­ren spie­len, erläu­tert Alters­me­di­zi­ner Dr. Vol­ker Spart­mann im Chef­arzt­ge­spräch.

volker spartmann portrat am schreibtisch
Chef­arzt Dr. Vol­ker Spart­mann lei­tet die Ger­ia­trie sowie die ange­schlos­se­ne Tages­kli­nik an der Heli­os Kli­nik Atten­dorn (Foto: Heli­os Kli­nik Atten­dorn)

Dr. Spart­mann, als Lei­ter der Ger­ia­trie der Heli­os Kli­nik Atten­dorn sowie der ange­schlos­se­nen Tages­kli­nik sind Sie täg­lich mit alten Men­schen und ihren beson­de­ren gesund­heit­li­chen Her­aus­for­de­run­gen kon­fron­tiert. Wel­che Rol­le spielt die Demenz dabei?

Bei der Demenz han­delt es sich zunächst um eine Erkran­kung, die dadurch ent­steht, dass die Men­schen immer älter wer­den. Sie macht sich durch einen schwer­wie­gen­den Abbau der geis­ti­gen Fähig­kei­ten bemerk­bar und führt zu Beein­träch­ti­gun­gen des Lebens­all­tags. Die Erkrank­ten sind natür­lich viel betreu­ungs­be­dürf­ti­ger als ande­re Senio­ren, die zwar auch natur­ge­mäß ihre Krank­heits­bil­der haben, aber kogni­tiv mit den behan­deln­den Ärz­ten und dem Pfle­ge­per­so­nal koope­rie­ren kön­nen. Man schätzt, dass aktu­ell 70 Pro­zent der über 80-Jäh­ri­gen in Deutsch­land davon betrof­fen sind, Ten­denz stei­gend. Die Deut­sche Alz­hei­mer­ge­sell­schaft sieht vor­aus, dass die Zahl der Demenz­er­krank­ten 2050 bei 2,3 bis 2,7 Mil­lio­nen Men­schen lie­gen könn­te. Das sind Dimen­sio­nen, die wir vor Augen haben müs­sen – und natür­lich auch ihre Aus­wir­kun­gen.

War­um steigt die Zahl so rasant an?

Frü­her sind die Men­schen häu­fig schon ver­stor­ben, bevor sie über­haupt das Alter erreicht haben, ab dem Demenz ein The­ma wird. Als ich noch zur Schu­le ging, lag die durch­schnitt­li­che Lebens­er­war­tung in Deutsch­land bei Män­nern bei 67 und bei Frau­en bei 69 Jah­ren. Vie­len war also kei­ne lan­ge Rest­le­bens­dau­er nach dem Ren­ten­ein­tritt beschie­den. Die­ser Alters­sprung, den wir jetzt sehen, ist das Resul­tat einer viel bes­se­ren medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung. Das sehen wir ins­be­son­de­re im kar­dio­lo­gi­schen Bereich oder bei Schlag­an­fäl­len. Das ist eigent­lich eine erfreu­li­che Ent­wick­lung, aber die Kehr­sei­te ist: Alle Orga­ne im Kör­per altern dann auch stär­ker. Und das hat Kon­se­quen­zen. Denn das Gehirn bleibt davon nicht aus­ge­nom­men.

„Demenz wird gera­de in den Fami­li­en immer noch häu­fig tot­ge­schwie­gen, vor allem von den Betrof­fe­nen selbst.“

Stich­wort Akzep­tanz: Was hat sich im Umgang mit der Demenz ihrer Wahr­neh­mung nach in den letz­ten 30 Jah­ren getan?

Als ich mit der Ger­ia­trie anfing, war das The­ma noch wei­test­ge­hend ein Tabu, auch inner­halb der Medi­zin. Es war mit einem Stig­ma behaf­tet – und dar­an hat sich bis heu­te auch nicht sehr viel geän­dert. Demenz wird gera­de in den Fami­li­en immer noch häu­fig tot­ge­schwie­gen, vor allem von den Betrof­fe­nen selbst. Dass die Ein­sicht dafür nicht da ist, liegt aller­dings in der Natur der Sache. Man merkt es selbst häu­fig gar nicht erst oder will es sich nicht ein­ge­ste­hen.

Was sind die viel­ver­spre­chends­ten Ansät­ze im Umgang mit Demenz­er­kran­kun­gen?

Vor­ab: Es gibt bis heu­te kein Medi­ka­ment, das Demenz hei­len kann. Trotz­dem exis­tie­ren aktu­ell eini­ge viel­ver­spre­chen­de Ansät­ze. In Euro­pa soll noch in die­sem Jahr ein Medi­ka­ment zuge­las­sen wer­den, das zumin­dest hilft, den Ver­fall zu stop­pen. Letzt­lich ver­sucht man damit, gewis­se bio­che­mi­sche Vor­gän­ge im Gehirn zu ver­lang­sa­men oder anzu­hal­ten. Der zwei­te Ansatz ist die Gene­tik. Es wird inten­siv dar­an geforscht, gene­ti­sche Merk­ma­le zu fin­den, die man – ähn­lich wie bei Krebs­er­kran­kun­gen –  dann gezielt behan­delt. Aber ein Wun­der­mit­tel, mit dem man den Ver­falls­pro­zess wie­der zurück­dre­hen kann, das gibt es nicht. Aber durch geziel­te Maß­nah­men wie Ergo­the­ra­pie oder Psy­cho­the­ra­pie kann man eini­ge Ver­laufs­for­men der Demenz für einen gewis­sen Zeit­raum kom­pen­sie­ren, sodass Betrof­fe­ne mehr oder weni­ger ihr Leben wei­ter­füh­ren kön­nen. Aber das ist zeit­lich eng begrenzt.

Wir haben bis­lang viel über Demenz gespro­chen. Die­se ist aber nur ein Aspekt der Alters­me­di­zin, zu der weit mehr gehört.

Das stimmt. Ein wesent­li­ches Instru­ment, das wir auch in Atten­dorn haben, ist eine Tages­kli­nik. Ein sta­tio­nä­res ger­ia­tri­sches Ange­bot ist nach moder­nen Gesichts­punk­ten erst dann wirk­lich kom­plett, wenn es eine Tages­kli­nik als teil­sta­tio­nä­re Ergän­zung vor­hal­ten kann. Das ist heut­zu­ta­ge der Gold­stan­dard, wenn es um die Behand­lung von alten Men­schen geht.

Tages­kli­ni­ken ver­fü­gen über einen Ansatz, der sich pri­mär an Pati­en­ten rich­tet, die nach einer Behand­lung im Kran­ken­haus noch Zeit bis zur voll­stän­di­gen Gene­sung benö­ti­gen, ohne dass sie dabei unter sta­tio­nä­ren Bedin­gun­gen leben müs­sen. Sie wer­den in der Tages­kli­nik dia­gnos­ti­ziert und ger­ia­trisch behan­delt, absol­vie­ren tags­über ihre Kom­plex­the­ra­pie und fah­ren nach­mit­tags wie­der zurück nach Hau­se in ihre gewohn­te Umge­bung.

„Ein direk­tes Scha­dens­er­eig­nis oder ein vor­an­ge­gan­ge­ner sta­tio­nä­rer Auf­ent­halt ist nicht Vor­aus­set­zung für eine Ein­wei­sung in die Tages­kli­nik.“

Was hat es mit die­ser Kom­plex­the­ra­pie auf sich?

Das zer­ti­fi­zier­te Kon­zept der Kom­plex­the­ra­pie ist das Basis­pro­gramm in einer ger­ia­tri­schen Tages­kli­nik und ver­folgt einen sys­te­ma­ti­schen Behand­lungs­an­satz. Die­ser rich­tet sich an älte­re Men­schen, die mul­ti­mor­bi­de sind und nach einem Ein­griff, wie zum Bei­spiel einer Hüft­ge­lenks­frak­tur, eine län­ge­re Hei­lungs­zeit brau­chen wie ein jün­ge­rer Mensch. Aber auch wenn der Haus­arzt über einen län­ge­ren Zeit­raum beob­ach­tet, dass sein Pati­ent abbaut und sich nicht mehr zurecht­fin­det, kann er ihn direkt zu uns ein­wei­sen. Ein direk­tes Scha­dens­er­eig­nis oder ein vor­an­ge­gan­ge­ner sta­tio­nä­rer Auf­ent­halt ist nicht Vor­aus­set­zung für eine Ein­wei­sung in die Tages­kli­nik.

Wie läuft die Kom­plex­the­ra­pie ab?

Wir hal­ten für unse­re Pati­en­ten zehn unter­schied­li­che The­ra­pie­for­men vor, dar­un­ter Phy­sio­the­ra­pie, Ergo­the­ra­pie oder Kunst­the­ra­pie, die nach einem indi­vi­du­el­len Behand­lungs­plan und inner­halb eines struk­tu­rier­ten Tages­ab­laufs durch­lau­fen wer­den. Das Gan­ze hat jedoch auch noch eine wich­ti­ge sozia­le Kom­po­nen­te, denn wäh­rend der The­ra­pie­zeit, in der Regel zwei Wochen, ver­brin­gen die Men­schen viel Zeit mit den ande­ren Pati­en­ten. Man tauscht sich aus, lacht viel und isst auch gemein­sam zu Mit­tag. Auch das ist wich­tig, denn alles dient dem gro­ßen Ziel, den Teil­neh­mern wie­der ein eigen­stän­di­ges Leben zuhau­se zu ermög­li­chen.

Wie fin­det man her­aus, wer für die Tages­kli­nik geeig­net ist?

Indem man vor­weg ein ger­ia­tri­sches Basis-Assess­ment macht. Jeder neue Bewer­ber um einen The­ra­pie­platz muss Tests zu sei­ner Mobi­li­tät, Kogni­ti­on und neu­ro­lo­gi­schen Kom­pe­tenz absol­vie­ren. Das funk­tio­niert mit stan­dar­di­sier­ten Test­me­tho­den rela­tiv sicher. In maxi­mal einer hal­ben Stun­de kann man fest­stel­len, wel­ches Poten­zi­al indi­vi­du­ell noch vor­han­den ist. Denn wir als behan­deln­de Stel­le müs­sen den Nach­weis erbrin­gen, dass die fest­ge­leg­ten Kri­te­ri­en erfüllt sind, wel­che von den Kran­ken­kas­sen ver­langt wer­den.

Für wen ist die Kom­plex­the­ra­pie in einer Ger­ia­tri­schen Tages­kli­nik nicht sinn­voll?

Die Gren­zen lie­gen in der Schwe­re der Vor­er­kran­kun­gen. Es braucht ein­fach ein Mini­mum an Rest­po­ten­zi­al, damit die Kom­plex­the­ra­pie ange­wen­det wer­den kann. Ein gro­ßer limi­tie­ren­der Fak­tor ist der Wil­le des Pati­en­ten, an der Ver­bes­se­rung sei­nes Zustands aktiv mit­zu­wir­ken. Besteht dazu kei­ne Bereit­schaft, macht für ihn eine Tages­kli­nik wenig Sinn. Das Glei­che gilt auch, wenn er kör­per­lich nicht mehr in der Lage ist, aktiv an der The­ra­pie teil­zu­neh­men. Erst recht nicht, wenn bereits beim ers­ten Kon­takt eine Demenz offen­sicht­lich ist.

Ter­min: Don­ners­tag, 27. Febru­ar 2025 | 17:00 Uhr
Demenz­be­hand­lung: Medi­ka­men­te, Gehirn­jog­ging oder was sonst?
Chef­arzt Dr. Vol­ker Spart­mann

Betrof­fe­ne und Ange­hö­ri­ge sind herz­lich zu einem infor­ma­ti­ven Vor­trag in der Heli­os Kli­nik Atten­dorn ein­ge­la­den. The­ma­tisch im Fokus: Wie kann man effek­tiv eine Demenz­er­kran­kung behan­deln und vor­beu­gen.

Ein­tritt kos­ten­los, kei­ne Anmel­dung erfor­der­lich.

Dr. Vol­ker Spart­mann

Zur Per­son:
Gebo­ren 1960 in Essen, Stu­di­um der Human­me­di­zin in Düs­sel­dorf, Staats­examen und Appro­ba­ti­on 1986. Ober­arzt an der Inne­ren Abtei­lung am Eli­sa­beth-Kran­ken­haus Reck­ling­hau­sen von 1992–1999, dabei Erlan­gung der Zusatz­be­zeich­nung Ger­ia­trie. Vom 1.10.1999 bis 31.1. 2024 Chef­arzt der Ger­ia­trie an der St. Lukas Kli­nik Solin­gen, seit 1.2.2024 Chef­arzt der Ger­ia­trie an der Heli­os Kli­nik Atten­dorn.

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