Die Touristikunternehmen im Sauerland stehen Gewehr bei Fuß und könnten innerhalb weniger Tage ihre Betriebe hochfahren. Doch sie fühlen sich in der Öffnungsperspektive von der Politik alleingelassen.
„Wir bekommen einfach keine Planungssicherheit, wir können nicht von jetzt auf gleich auf Vollbetrieb umschalten“, beklagt Dietmar Harsveldt, Geschäftsführer des Campingplatzes und Strandbades „Vier Jahreszeiten“ am Sonderner Kopf in einer durch die heimische Bundestagsabgeordnete Nezahat Baradari (SPD) initiierten Videokonferenz, an der neben Dietmar Harsveldt auch die Touristiker Wolfgang Böhmer (Atta-Höhle), Nicole Keseberg (Personenschifffahrt Biggesee) und Philipp Aßhoff (Elspe-Festival) teilnahmen.
Nezahat Baradari wollte von den Touristikern wissen, welche Probleme ihnen unter den Nägeln brennen und was ihre Forderungen an die Politik sind. Und die sind klar: Trotz klarer Hygienekonzepte, mit denen im vergangenen Jahr in allen Freizeitunternehmen im Kreis Olpe tausende von Besuchern begrüßt werden konnten, dürfen Höhle, Elspe-Festival, Sonderner Kopf und Schifffahrt sprichwörtlich nicht die Leinen los machen und ihre Pforten öffnen.
„Das Verständnis für die politischen Corona-Maßnahmen ist langsam weg“, beklagt Philipp Aßhoff. Trotz tausender Besucher auf der Festival-Bühne wie auch in den anderen Freizeiteinrichtungen unter Corona-Bedingungen habe es nach den Veranstaltungen im vergangenen Jahr keinen nachgewiesenen Corona-Ansteckungsfall gegeben. Zwar seien die staatlichen Überbrückungshilfen fürs Unternehmen gekommen, aber damit lasse sich nicht viel stemmen. „Noch so eine Saison, dann sieht es für unser Unternehmen kritisch aus“, bringt es Aßhoff auf den Punkt. Und: Sobald die Entscheidung gefallen sei, mit einer Vorlaufzeit von 2,5 Monaten in die neue Saison zu starten, liegen die Produktionskosten bei 2,5 Mio. Euro. Aßhoff weiter: „Die Ministerkonferenz hangelt sich von Konferenz zu Konferenz, ohne zu sagen, was von Juni bis September ist“. Und wenn nach einer Freigabe dann kurzfristig doch wieder alles abgesagt werde, bleibe das Elspe-Festival auf den Produktionskosten sitzen.
Bei der Höhle und der Personenschifffahrt ist die Vorlaufzeit zwar mit 8 bis 14 Tage kürzer, aber auch hier würden die Gäste bei einem Start von Anfang an 100 Prozent verlangen. Die Unternehmen könnten aber nicht einfach den Hebel umlegen und innerhalb von ein paar Tagen auf Vollbetrieb gehen, deshalb müsse die Politik längerfristige Termine nennen.
Um ihr Personal zu halten, lassen sich die heimischen Touristikunternehmen einiges einfallen. „Die Atta-Höhle gleicht die Differenz beim Kurzarbeitergeld aus eigenen Mitteln nahezu aus“, erklärt Wolfgang Böhmer. Man habe vor der Corona-Krise schon Probleme gehabt, geeignetes Personal zu finden, dann wolle man die Mitarbeiter über die Krise bringen und sie bei einem Neustart auch wieder beschäftigen.
Die Mitarbeiter der Schifffahrt sind als Saisonkräfte tätig und haben derzeit noch keine zeitliche Perspektive. Nicole Keseberg: „Wir haben sie noch nicht zurückgeholt, sie sind echt fertig“. Aus der saisonalbedingten Arbeitslosigkeit werden sie nach Absprache mit der Agentur für Arbeit nun erst einmal in die Kurzarbeit gehen.
Weil die Personenschifffahrt im Linienbetrieb fährt und es im letzten Jahr vor allem Probleme beim Check-In gab, spricht sich Nicole Keseberg für eine Nachverfolgungs-App aus.
Die gibt es inzwischen, heißt „Luca“ und wurde zur Corona-Bekämpfung von einer Berliner Firma entwickelt. Smudo von den „Fantastischen Vier“ engagiert sich für die Einführung.
Als stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Kreistag Olpe nahm Christin-Marie Stamm (SPD) an der Konferenz teil und griff den Wunsch der Touristiker auf. Sie beantragte bereits am vergangenen Freitagabend in der kommenden Kreistagssitzung über die Einführung der App im Kreis Olpe zu entscheiden. Christin-Marie Stamm: „Der Märkische Kreis schafft bereits die Voraussetzungen für den Start der „Luca-App“, mit der sich Kontakte unkompliziert und sicher nachverfolgen lassen, warum soll das im Kreis Olpe nicht möglich sein?“.
Dietmar Harsveldt, der bereits im vergangenen Jahr das „Biggesee Open Air“ am Sonderner Kopf absagen musste, zog am Montag für das Festival 2021 die Reißleine und sagte es auch ab. Wenn beispielsweise ein Konzert mit Marc Forster mit 10.000 Tickets ausgebucht sei, mache es betriebswirtschaftlich keinen Sinn, es mit einem Bruchteil von Besuchern zuzulassen. „Wenn Veranstaltungen nur noch so zugelassen werden, werden in 2021 noch viele Unternehmen sterben und Künstler aufgeben“, malt Harsveldt eine düstere Zukunftsprognose.
Nezahat Baradari bestätigte den Konferenzteilnehmern, dass das Impftempo in Deutschland noch zu verhalten sei. Das läge teilweise daran, dass den Impfherstellern die Glasfläschen ausgegangen seien, aber in erster Linie müssten die Hausärzte beim Impfen einbezogen werden. Wesentliche Lockerungen in der Freizeitbranche zu Ostern sieht Baradari derzeit noch nicht.
Zur Ministerpräsidentenkonferenz mit der Bundeskanzlerin am 22. März forderte sie Verbesserungen für die Gastronomie und Tourismusbranche ein. Gerade in Hinblick auf Ostern müsse die schrittweise Eröffnung von Campingplätzen, Ferienwohnungen und -häusern in das Stufenkonzept eingebunden werden. Die fortwährende Evaluation und Anpassung der Überbrückungshilfe III war dabei auch ein wichtiges Thema.
„Alles hängt von der flächenhaften Impfung der Bevölkerung ab.
Dies bleibt nach wie vor der Dreh- und Angelpunkt in der Pandemie, damit die Wirtschaft und die Beschäftigung nicht vollends vor die Wand gefahren werden“, so abschließend die heimische Abgeordnete.