Freitag, 06. Juni 2025

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Eine Entscheidung, die Leben retten kann

Oberärztin Dr. Christine Bornträger spricht über die Möglichkeiten und den Ablauf einer Organspende

Am ersten Samstag im Juni findet jährlich der Tag der Organspende statt. Doch wie funktioniert überhaupt eine Organspende? Und wie sieht die Nachsorge aus? Das beantwortet Dr. Christine Bornträger, Oberärztin am Institut für Anästhesie, Intensiv-, Notfall- & Palliativmedizin und Transplantationsbeauftragte der GFO Kliniken Südwestfalen, im Interview. Darüber hinaus geht sie auch auf moderne Möglichkeiten ein, seinen Willen zur Organspende zu dokumentieren.

Welche Organe und Gewebe kann man überhaupt spenden?
Es gibt sieben verschiedene Organe, die regelrecht gespendet werden können: Herz, Lunge, Leber, beide Nieren, die Bauchspeicheldrüse und der Darm. Wobei die Nieren das häufigste gespendete Organ sind. In diesem Bereich gibt es auch die Möglichkeit der Lebensspende, bei der man als lebender Mensch ein Organ abgeben kann. Darüber hinaus können Herz, Lunge und Leber gespendet werden. Bauchspeicheldrüse und Darm werden zwar selten transplantiert, das ist aber grundsätzlich möglich. An Geweben können grundsätzlich alle Häute, Knochen, Knorpel, Weichteilgewebe sowie Blutgefäße gespendet werden, ebenso Herzklappen und die Haut. Es gibt viele Möglichkeiten, Gewebe zu spenden, wenn die festen Organe nicht infrage kommen, solange grundsätzlich eine Spendebereitschaft besteht.

Wie wird sichergestellt, dass ein Spendeorgan zum Empfänger passt?
Es gibt ein großes Spektrum an Voruntersuchungen. Zunächst werden typische Gewebemerkmale aus dem Blut des Patienten, sogenannte Antigene, bestimmt. Dann wird geprüft, ob diese Antigene mit dem Immunsystem des Empfängers kompatibel sind. Auch die Blutgruppe muss übereinstimmen. Zusätzlich werden Körpergröße, Gewicht und Alter berücksichtigt, da man beispielsweise einem kleinen Kind nicht die Niere eines 60-Jährigen transplantieren kann. Unter anderem auf dieser Basis wird dann die Spendenzuteilung vorgenommen. Die Zuteilung richtet sich nach den Kriterien Dringlichkeit und Erfolgsaussicht, wobei Letzteres durch die Untersuchungen zu Gewebemerkmalen, Blutgruppe, Alter, Größe und Gewicht sichergestellt wird.

Was passiert genau, wenn man Organe spendet? Wie läuft der Prozess ab?
Der Prozess beginnt mit einem Patienten, der durch Krankheit oder Unfall eine direkte oder indirekte Schädigung des Gehirns erleidet. Dies kann entweder durch Trauma oder eine Blutung im Kopf oder durch Durchblutungsstörungen, Ischämie, oder Hypoxie (Sauerstoffmangel) passieren. Wenn ein solcher Patient auf der Intensivstation liegt, ist er in der Regel intubiert und beatmet. Wenn der Verdacht auf das Vorliegen eines Hirntodes, also dem unumkehrbaren Ausfall aller Hirnfunktionen, inklusive Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm besteht, werden umfangreiche Tests durchgeführt, um festzustellen, ob der Patient schon verstorben ist oder nicht. Denn das bedeutet der Begriff der nicht-umkehrbaren, vollständigen Hirnschädigung: dass keine Reflexe, keine Bewusstseinsfunktion und keine Hirnstammfunktionen mehr vorhanden sind und auch nicht wiederkehren.
Dafür wird überprüft ob der Mensch ohne jegliche Narkose oder anderen Grund noch Atemantrieb hat, ob noch Hirnstammreflexe vorhanden sind oder ob er noch Schmerzreize spürt. Zwei Fachärzte, die in der Intensivmedizin erfahren sein müssen, führen diese Tests durch. Einer von Ihnen kommt immer aus einem externen Krankenhaus.

Beide müssen unabhängig voneinander objektiv entscheiden, ob der Hirnfunktionsausfall irreversibel ist. Die Untersuchungen sind genau durch die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) vorgegeben. Wenn der Hirntod bestätigt wird, ist der Mensch nach juristischer Definition verstorben und es wird ein Totenschein ausgestellt. Allerspätestens jetzt wird die DSO eingeschaltet und die Organspende wird weiter geprüft. Dafür wird die Intensivtherapie, z.B. die Beatmung, erst einmal weiter fortgesetzt, auch wenn der Mensch nach Legaldefinition schon verstorben ist. Denn ohne Herzschlag und Beatmung, also einen weiteren Sauerstofftransport, gingen in kürzester Zeit die Organe des Menschen zugrunde.
Die DSO sammelt dann Informationen über den Zustand des Patienten und gibt eine Empfehlung ab, welche Organe theoretisch gespendet werden könnten. Es folgt ein Gespräch mit den Angehörigen, in dem die Organspendebereitschaft abgeklärt wird. Sollte die Zustimmung vorliegen, wird das Organspende-Register abgefragt, um sicherzustellen, dass kein Widerspruch existiert. Nach der Bestätigung der Zustimmung werden die Organe entnommen, wobei der Organtransplantationsprozess durch Eurotransplant koordiniert wird, um eine faire und transparente Zuteilung sicherzustellen. Eurotransplant übernimmt die Vermittlung der Organe auf der Datenbasis, die die DSO zur Verfügung stellt und geht die Liste der potentiellen Empfänger durch.
Das Ganze ist zeitlich getaktet und geht relativ schnell. Wenn ein passender Empfänger gefunden ist, wird der Patient für eine Explantationsoperation in den OP gebracht, und zwar in dem Haus, wo auch der Hirntod festgestellt wurde. Mit Beginn der Entnahme werden in den anderen Kliniken die Empfänger in den OP transportiert, sodass die Organe möglichst kurz außerhalb des Körpers sind. Nach der Organspende haben die Angehörigen die Möglichkeit, sich in Ruhe zu verabschieden. Am aufgebahrten Verstorbenen gibt es dann keine offensichtlichen Spuren seiner Spende, die Trauernden können sich in Frieden von ihm verabschieden.

Welche Risiken gibt es für Lebensspender? Wie sieht die Nachsorge aus?
Lebensspender, meist Nierenspender, können maximal eine Niere spenden, wobei die zweite Niere behalten wird. Nach einer Nierenspende kann es dazu kommen, dass der Spender einen Bluthochdruck entwickelt oder die Funktion der verbleibenden Niere vorübergehend eingeschränkt ist. In der Regel regeneriert sich die Funktion jedoch, da die verbleibende Niere die Aufgaben übernimmt. Die Patienten können sich grundsätzlich jederzeit bei Problemen im Transplantationszentrum vorstellen. Regelhaft ist es aber so, dass drei bis vier Wochen nach der Spende eine Vorstellung erfolgt, bei der dann explizit Blutdruck und Nierenfunktionen überprüft werden. Im ersten Jahr kommt es alle drei Monate zu einer Folgekontrolle, je nach Verlauf wird der zeitliche Abstand anschließend größer, über halbjährliche Kontrollen bis hin zu jährlichen Kontrollen. Spender haben darüber hinaus Anspruch auf eine dreiwöchige Reha. Und es gibt über die DSO auch noch eine tolle Begleitmöglichkeit: Jahrestreffen von Angehörigen, deren Verwandte Organe gespendet haben, zu denen auch Organempfänger kommen.

Wie lange dauert es, bis ein Empfänger sich vollständig von einer Organtransplantation erholt?
Die Erholungszeit variiert je nach Organ und Patient. In der Regel können Nierentransplantationsempfänger nach etwa vier Wochen wieder arbeiten gehen. Bei größeren Transplantationen wie Herz- oder Lebertransplantationen dauert die Erholung länger. Patienten müssen auf Sport und anstrengende Tätigkeiten für mindestens drei Monate verzichten. Wenn sie dann mit Sport anfangen, wäre am ehesten Ausdauersport geeignet, wie Fahrradfahren oder Walking. Darüber hinaus ist es wichtig, Ansteckungen und Infektionen zu vermeiden, da das Immunsystem durch Medikamente unterdrückt wird, um das Risiko einer Abstoßung des empfangenen Organs zu minimieren.

Kann man die Entscheidung zur Organspende jederzeit rückgängig machen?
Ja, die Entscheidung zur Organspende kann jederzeit rückgängig gemacht werden, und dies muss dann einfach entsprechend dokumentiert werden.

Was passiert, wenn man zu Lebzeiten keine Entscheidung getroffen hat?
Wenn keine Entscheidung zur Organspende getroffen wurde, richtet sich die Entscheidung danach, in welchem Land man sich befindet. In Deutschland gilt die Entscheidungslösung: Organe und Gewebe dürfen nur entnommen werden, wenn die verstorbene Person dem zu Lebzeiten offen oder anzunehmen zugestimmt hat. Liegt keine Entscheidung vor, werden die Angehörigen nach einer Entscheidung im Sinne des Verstorbenen gefragt. Erstentscheider wäre der Ehegatte oder der eingetragenen Lebenspartner. Zweitentscheider wären leibliche Kinder. An dritter Stelle kommen die Eltern bzw. ein Vormund, an vierter Stelle volljährige Geschwister und zu guter Letzt die Großeltern. Zudem ist der nächste Angehörige nur dann zu einer Entscheidung berechtigt, „wenn er in den letzten zwei Jahren vor dem Tod des möglichen Organ- oder Gewebespenders zu diesem persönlichen Kontakt hatte“ (§4 Transplantionsgesetz). Freunde oder Bekannte dürfen nicht über eine Organspende entscheiden, selbst wenn es keine Angehörigen mehr gibt. In dem Fall wäre keine Organspende möglich. Ärzte dürfen über eine Zustimmung zur Spende eines Verstorbenen nie entscheiden. In anderen Ländern, wie Österreich oder Spanien, gibt es die Widerspruchslösung, was bedeutet, dass man automatisch Organspender ist, es sei denn, die Angehörigen sprechen sich dagegen aus.

Wie kann man sicherstellen, dass der Wille zur Organspende klar dokumentiert ist?
Der klassische Weg ist der Organspendeausweis, den man über Krankenkassen, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Arztpraxen oder über das übers Internet bekommen kann und bei sich in der Tasche, im Portemonnaie oder am Handy mitführt. Eine neuere Möglichkeit ist das zentrale Organspende-Register, in dem man nach einem Identifikationsverfahren seinen Willen zur Organspende hinterlegen kann. Eine moderne, neue Möglichkeit, seine Zustimmung zu dokumentieren, ist ein Tattoo, das der Verein „Junge Helden“ ins Leben gerufen hat. Gespräche mit Familie und Freunden können ebenfalls helfen, die Entscheidung klar zu kommunizieren.

Wie realistisch ist die Entwicklung von vollständig künstlichem Organen in den nächsten Jahrzehnten?
Die Entwicklung von künstlichen Organen ist ein langfristiges Ziel. Derzeit gibt es bereits künstliche Organe wie Kunstherzen oder Herzunterstützungssysteme, die als Überbrückungslösungen eingesetzt werden. In der Forschung wird an Xenotransplantaten, also Organen von Tieren, gearbeitet. Das Schwierigste dabei ist, die Tierorgane so zu modifizieren, dass sie vom menschlichen Organismus nicht abgestoßen werden. Aktuell wird auch an „Tissue Engineering“ gearbeitet, bei dem Organe aus menschlichen Zellen gezüchtet werden. Die Entwicklung solcher Technologien steckt jedoch noch in den Kinderschuhen. Wir als Ärzte und Intensivmediziner stecken große Hoffnungen in diese Entwicklung. Wir sehen wenige Situationen zur Organspende und eine noch weit verbreitete Angst davor in der Bevölkerung, aber gleichzeitig tagtäglich Menschen, deren Leben sich durch eine Spende radikal verbessern oder überhaupt erhalten lassen könnte. Leider sind die künstlichen Organe noch ferne Zukunftsmusik, und erst Jahrzehnte, nachdem uns Autos autonom durch die Welt fahren, denkbar.

Kann personalisierte Medizin helfen, Abstoßungsreaktionen zu minimieren?
Ja, es gibt Ansätze, die Immununterdrückung gezielt an den Patienten anzupassen, um Abstoßungsreaktionen zu minimieren und gleichzeitig das Risiko von Infektionen zu verringern. Einige Forschungsprojekte, wie das e-Kit-Projekt an der Charité, arbeiten an der Entwicklung individueller Therapien zur Immunmodulation. Das sind alles noch Modelle. Aber sie könnten enorm helfen.

Gibt es Möglichkeiten, die Wartezeit auf ein Spendeorgan zu verkürzen?
Eine Möglichkeit zur Verkürzung der Wartezeit besteht in der Lebensspende, bei der ein Angehöriger eine Niere spendet. Eine weitere Möglichkeit ist das Konzept der „Old-to-Old“-Transplantation, bei dem ältere Patienten Organe von anderen älteren Spendern erhalten, was die Wartezeit verkürzen kann. Die Methode ist aber für Jüngere nicht geeignet, weil die Organe erwartungsgemäß zu früh die Funktion verlieren. Ansonsten hat man keinen Einfluss auf die Vergabe der Organe. Die Organe werden strikt getrennt über DSO und Eurotransplant vergeben und sie werden auch strikt nach Dringlichkeit und nachfolgend Erfolgsaussicht auf der Warteliste vergeben.

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