Sonntag, 06. Juli 2025

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„Schicht­wechsel“ ist immer auch „Sicht­wechsel“

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Beschäftigte und Mitarbeitende der Werkstätten begrüßen die Gäste aus Politik und Wirtschaft in der Abteilung Lennestadt (Foto: Caritasverband Olpe)

Arbeitsplatztausch einmal anders: In der Lennestädter Abteilung der Werthmann-Werkstätten des Caritasverbandes Olpe war jetzt „Schichtwechsel“ angesagt. Erneut beteiligten sich Beschäftigte aus den Werkstätten für Menschen mit Behinderung und Mitarbeitende aus regionalen Unternehmen und der Stadtverwaltung an dem bundesweiten Aktionstag und tauschten für einen Tag ihre Jobs. Da ist es kein Zufall, dass der Projekttitel auch das Wort „Sichtwechsel“ beinhaltet: Menschen mit und ohne Behinderung lernten neue Arbeitswelten und Perspektiven kennen. Lennestadts Bürgermeister Tobias Puspas sowie Vertreter der Unternehmen Westmark und Gustav Hensel GmbH & Co. KG unterstützten die Initiative, die hilft, mit Klischees aufzuräumen und das Verständnis für mehr berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung zu fördern.  

Beim Kennenlernen der verschiedenen Förder- und Arbeitsbereiche der insgesamt 123 Beschäftigten im kollegialen Miteinander der Lennestädter Werkstatt wurde schnell klar: Das Interesse am Gegenüber war groß, der Fragenkatalog der „Mitarbeitenden für einen Tag“ war lang und die Vielfältigkeit der Tätigkeiten überraschte. „Wenn ich in meiner vierjährigen Amtszeit auch schon einige Berührungspunkte mit den Werkstätten hatte, so war mir in dem Umfang nicht klar, was hier Wertvolles im Sinne von beruflicher Teilhabe und Inklusion geleistet wird – menschlich, fachlich und qualitativ“, brachte es Tobias Puspas, Bürgermeister der Stadt Lennestadt nach dem Rundgang sichtlich beeindruckt auf den Punkt.
So wie ihm ging es auch seinen Mitstreitern vom „Schichtwechsel“, Bernhard Neuhäuser (Westmark GmbH), Jennifer Pukall und Mike Kramer (Hensel GmbH & Co. KG). Sie alle nutzten den spannenden und lehrreichen Aktionstag, um in die Wirkungsstätte der Menschen mit Behinderung einzutauchen. Einige Beschäftigte der Werkstätten wiederum konnten beim Gegenbesuch wertvolle Einblicke in Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes gewinnen und dort neue Erfahrungen sammeln.

So wie Lisa Kieserling, die sich zusammen mit ihrem Werkstatt-Kollegen Christian Dümpelmann auf den Weg ins Lennestädter Rathaus machte. „Die Aufregung ist schon groß“, gaben beide zu. Auch wenn sie sein Büro erkunden und auf seinem Stuhl im Sitzungssaal Platz nehmen durften, so waren sie doch erstaunt, dass ein Großteil der Bürgermeister-Tätigkeit „draußen, vor Ort bei den Menschen“ stattfindet. Bestes Beispiel hierfür war nicht zuletzt dieser Tag: Tobias Puspas sowie seine drei Mitstreiter beim Schichtwechsel begegneten den Menschen mit Behinderung offen, interessiert, wertschätzend und auf Augenhöhe.

Mehrwert dank Blick über den Tellerrand

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Bernhard Neuhäuser zeigt Patrick Stahl und Leotrim Thaci und die Ferti-gung der Firma WESTMARK (Foto: Caritasverband Olpe)

„Eine Selbstverständlichkeit“, wie Bernhard Neuhäuser betonte. „Wir bei Westmark blicken auf eine über 30-jährige vertrauensvolle und verlässliche Zusammenarbeit mit den Werkstätten zurück“, lobte der Betriebsleiter die langjährige Partnerschaft und Kooperation mit den Werthmännern. Ihm sei es nicht nur ein großes Anliegen, die Fertigung und Verpackung von firmeneigenen Küchen- und Haushaltshelfern live zu erleben, sondern auch die Menschen hinter der Arbeit kennenzulernen. Schließlich halten sich in der öffentlichen Debatte noch immer viele Klischees über Werkstätten für behinderte Menschen, die dort im geschützten Rahmen arbeiten. „Über den Tellerrand blicken ist für uns alle enorm wertvoll. Dieser Aktionstag zeigt, wie wichtig es ist, die Fähigkeiten und Talente von Menschen mit Behinderung zu erkennen, zu würdigen und entsprechend einzusetzen und zu fördern“, so Neuhäuser. Die ganze Bandbreite der Westmark-Produktpalette inklusive des Werkzeugbaus durften dann am Nachmittag Patrick Stahl und Leotrim Thaci vor Ort in Elspe kennenlernen.
Ob das Zusammenstecken von Bezeichnungsschildern, die Fertigung von Blechdübeln oder die Montage vielfältigster Produkte für den Elektro-, Sanitär- oder Automobilbereich. Die „Tagespraktikanten der Werkstatt“, wie Susanne Rüenauver, Abteilungsleitung der Werkstatt in Lennestadt, die Gäste augenzwinkernd nannte, machten einen wirklich guten Job. So durften sich Jennifer Pukall und Mike Kramer auch direkt an der Montage einiger Hensel-Eigenprodukte ausprobieren. Die Personalreferentin und der Kollege aus der Montage-Abteilung waren erstaunt, mit wie viel Herzblut und Fachkompetenz gearbeitet wird und zollten den Menschen mit Behinderung größten Respekt: „Die Beschäftigten identifizieren sich mit ihrer Tätigkeit und können uns die Arbeitsschritte bei der Herstellung unserer Teile ganz präzise erklären“, so die Unternehmensvertreter. „Die Hensel-Arbeit macht einfach Spaß“, formulierte es die Beschäftigte Silvia Picker kurz und knapp im direkten Austausch. Von elektrotechnischen Erzeugnissen in höchster Qualität konnte sie sich dann beim Gegenbesuch zusammen mit Mergim Gerguri und Nikolai Voller überzeugen. Bereits seit 2007 fungiert das Familienunternehmen, seines Zeichens Marktführer im Bereich innovativer Produkte und Dienstleistungen für die elektrotechnische Gebäudeausrüstung, als Kooperationspartner der Werthmann-Werkstätten.

Teilhabe – Teil sein!

„Dank dieses Perspektivwechsels können die Schichtwechsel-Partner ‚von extern‘ jetzt besser verstehen, was bei uns wirklich geleistet wird“, fasste Susanne Rüenauver die Intention des Tages zusammen. Getreu dem Werkstatt-Motto „Arbeit möglich machen“ werde nicht nach den Defiziten, sondern immer nach den Fähigkeiten und Kompetenzen jedes Einzelnen geschaut. „Wir passen die Arbeit an den Menschen an, nicht umgekehrt. Jeder Beschäftigte soll seiner Tätigkeit mit Zufriedenheit nachgehen können und daraus einen Mehrwert ziehen“, erklärt die Abteilungsleitung. Wir unterstützen, fördern und begleiten – bei uns in den Werkstätten, auf betriebsintegrierten Außenarbeitsplätzen, bis hin zu einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis auf dem ersten Arbeitsmarkt.“
Auch Andreas Mönig, Gesamtleitung der Werthmann-Werkstätten, lobte  die Bereitschaft aller Beteiligten, an dem Aktionstag mitzuwirken und hob hervor: „Wir möchten verdeutlichen, dass Menschen mit Behinderung ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft sind und Werkstatt-Betriebe nur gemeinsam mit anderen Unternehmen Inklusion vorantreiben können. Über das verbindende Thema Arbeit möchten wir heute und auch zukünftig Raum schaffen – für Begegnung und Austausch, für Schnittstellen und wechselseitige Synergieeffekte“, so Mönig. „Vor dem Hintergrund einer möglichen Reform der Werkstattleistung können wir mit Hilfe solcher Aktionstage unsere Offenheit für Veränderungen unterstreichen.“

Starkes Zeichen für Offenheit und Vielfalt in der Arbeitswelt

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Tobias Puspas, Bürgermeister aus Lennestadt, holt sich Hilfen bei Thomas Roll (Foto: Caritasverband Olpe)

Begeistert von den sehr gut strukturierten Arbeitsprozessen und dem Qualitätsniveau der Ergebnisse und Produkte in den jeweiligen Arbeitsbereichen versprachen die Unternehmensvertreter und der Bürgermeister: „Wir werden unsere positiven Eindrücke und Erlebnisse mitnehmen und teilen.“ Das freute die Werkstatt-Verantwortlichen Andreas Mönig und Susanne Rüenauver, die gleichzeitig darum baten, immer wieder in den Austausch zu gehen und Möglichkeiten einer Zusammenarbeit auszuloten. „Mit unserem breit aufgestellten Leistungsportfolio sind wir stetig auf der Suche nach neuen Industriepartnern und Kunden für Aufträge vielfältigster Art. Wir freuen uns, wenn unsere Beschäftigten die Chance erhalten, in Betriebe auf dem ersten Arbeitsmarkt reinzuschnuppern und Praktika absolvieren können.“ Schon viele betriebsintegrierte Arbeitsplätze und zahlreiche sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse seien so zustande gekommen. Getreu dem Werkstatt-Motto: „Arbeit möglich machen“.

Infobox:

Werkstattbetriebe sind der Inklusion, der Teilhabe und der beruflichen Rehabilitation verpflichtet

  • Die Werth­mann-Werk­stät­ten bie­ten seit über 50 Jah­ren Teil­ha­be am Ar­beits­le­ben für Men­schen mit psy­chi­schen und/oder geis­ti­gen Ein­schrän­kun­gen – un­ab­hän­gig ihrer Her­kunft. In der Be­ruf­li­chen Bil­dung „b.?punkt“ wer­den die er­for­der­li­chen Fer­tig­kei­ten ver­mit­telt – prak­tisch und theo­re­tisch.
  • Im Ar­beits­be­reich un­ter­stüt­zen die Ca­ri­tas-Werk­stät­ten bei der ­täg­li­chen Ar­beit in der Mon­ta­ge, im Elek­tro-, Holz- oder Me­tall­be­reich, in der Gar­ten­ar­beit, im Le­bens­mit­tel­la­den oder in der Haus­wirt­schaft – ob per Handarbeit oder unterstützt von modernen Maschinen. Dies ist in den Werk­stät­ten oder au­ßer­halb in einem Be­trieb mög­lich. Ziel ist immer: „Ar­beit mög­lich ma­chen“.
  • An den Stand­or­ten in At­ten­d­orn, Len­nestadt, Olpe und Wel­schen En­nest er­fah­ren täg­lich 670 Men­schen mit Be­hin­de­run­gen Teil­ha­be am Ar­beits­le­ben. Davon sind 40 Men­schen in den hie­si­gen In­dus­trie­un­ter­neh­men sowie bei Dienst­leis­tern tätig und wer­den re­gel­mä­ßig von den Werk­stät­ten be­treut.
  • Der jährliche Aktionstag „Schichtwechsel“, organisiert von der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM) zielt darauf ab, die Arbeitswelt von Menschen mit Behinderungen sichtbar zu machen und Vorurteile abzubauen. Deutschlandweit nehmen jedes Jahr zahlreiche Werkstätten und Unternehmen daran teil, um durch den Austausch zwischen verschiedenen Arbeitswelten die Inklusion zu fördern.

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