Donnerstag, 23. Januar 2025

Top 5 der Woche

Ähnlich

„Die Werk­statt war mein Ret­tungs­an­ker“

img 3182
„Die Werk­statt hilft Men­schen wie mir und macht Arbeit mög­lich.“ Semih Atac ist froh, dort Unter­stüt­zung und sozia­le Teil­ha­be zu erfah­ren (Foto: Jani­ne Cle­mens, Cari­tas­ver­band Olpe)

Es ist der 27. April 2018, der das Leben von Semih Atac aus Meg­gen für immer ver­än­dert. Der schwe­re Ver­kehrs­un­fall, bei dem sich sein Auto neun­mal über­schlägt hin­ter­lässt Spu­ren – nicht nur sicht­ba­re. Eine zwölf­mo­na­ti­ge Reha und zahl­rei­che The­ra­pien, dank derer sich der jun­ge Mann ins Leben zurück kämpft, fol­gen. Vor dem Schick­sals­tag beab­sich­tig­te der damals 22-jäh­ri­ge, sei­nen Real­schul­ab­schluss nach­zu­ho­len. Mit dem Ziel, „irgend­was im Bereich Elek­tro­nik“ zu machen. Heu­te drückt Semih Atac ent­schlos­sen den Griff der Knie­he­bel­pres­se her­un­ter und kon­fek­tio­niert fast täg­lich Kabel für die wei­te­re Ver­ar­bei­tung in der Abtei­lung Olpe der Wert­h­mann-Werk­stät­ten. Fünf­ein­halb Jah­re nach dem Unfall, ist Semih Atac dank­bar für sein „zwei­tes, geschenk­tes Leben“, das ihn mit der Unter­stüt­zung sei­ner Fami­lie zu den Wert­h­mann-Werk­stät­ten des Cari­tas­ver­ban­des Olpe führ­te. Dort hat Semih Atac seit 2019 sein beruf­li­ches Zuhau­se in der Elek­tro­mon­ta­ge gefun­den: „Hier wird Arbeit mög­lich gemacht. Für jeden. Die Werk­statt inter­es­siert sich für Men­schen – sie hilft Men­schen wie mir!“

Anläss­lich des Inter­na­tio­na­len Tags für Men­schen mit Behin­de­rung“ am 3. Dezem­ber schil­dert Semih Atac sei­ne Situa­ti­on.

Auf­grund sei­nes schwe­ren Schä­del-Hirn-Trau­mas lag Semih Atac damals meh­re­re Wochen im Koma. Alles muss­te neu erlernt wer­den. Eine künst­li­che Schä­del­plat­te, meh­re­re Implan­tat­schrau­ben in der Hüf­te sowie Gedächt­nis­lü­cken beglei­ten ihn bis heu­te. Doch er blickt zuver­sicht­lich in die Zukunft: „Ich weiß alles jetzt viel­mehr zu schät­zen und bli­cke dank­bar auf das, was ich erreicht habe und noch errei­chen wer­de“, so der Beschäf­tig­te der Wert­h­mann-Werk­stät­ten vol­ler Opti­mis­mus. Noch sei er im geschütz­ten Rah­men beruf­lich unter­wegs. Erklär­tes Ziel für den Mann aus Meg­gen ist jedoch ein sozi­al­ver­si­che­rungs­pflich­ti­ges Arbeits­ver­hält­nis außer­halb der Werk­statt.

In engem Aus­tausch mit Grup­pen­lei­ter Bernd Niklas wer­den der­zeit ent­spre­chen­de Mög­lich­kei­ten für Semih Atac aus­ge­lo­tet. „Getreu dem Mot­to ‚Arbeit mög­lich machen‘ wird bei unse­ren Werk­statt-Beschäf­tig­ten nicht nach den Defi­zi­ten, son­dern immer nach den Fähig­kei­ten und Kom­pe­ten­zen jedes Ein­zel­nen geschaut, der Mensch in den Blick genom­men“, bekräf­tigt auch Achim Sche­ckel, Abtei­lungs­lei­ter der Wert­h­mann-Werk­stät­ten in Olpe. „Herrn Atac zeigt uns, dass wir alle von heu­te auf mor­gen auf die­se und ähn­li­che Unter­stüt­zun­gen ange­wie­sen sein kön­nen“, ergänzt Sche­ckel.

Men­schen­nah – „Arbeit mög­lich machen.“

Werk­statt als Chan­ce

„Die Werk­statt ist kei­ne End­sta­ti­on. Der Weg kann in enger Beglei­tung durch uns über einen exter­nen Arbeits­platz in einem Koope­ra­ti­ons­be­trieb hin zu einem sozi­al­ver­si­che­rungs­pflich­ti­gen Anstel­lungs­ver­hält­nis füh­ren“, erläu­tert Sche­ckel die Mög­lich­kei­ten inner­halb des Werk­statt-Sys­tems. Als Chan­ce ver­steht auch Semih Atac sei­nen nun ein­ge­schla­ge­nen Weg. Nach dem Ein­gangs­ver­fah­ren in der beruf­li­chen Bil­dung der Werk­stät­ten hat Semih 2019 meh­re­re Prak­ti­ka in der Indus­trie­mon­ta­ge und als Lage­rist absol­viert, um sich schließ­lich für sein „Ste­cken­pferd“, die Elek­tro­mon­ta­ge, zu ent­schei­den. Wenn der 27-jäh­ri­ge die manu­el­le Pres­se bedient und PE-Kabel und Roh­lin­ge für diver­se Bau­teil­sys­te­me nam­haf­ter Indus­trie­kun­den schnei­det und formt, leuch­ten sei­ne Augen. Dann ist er in sei­nem Ele­ment. „Die Werk­statt hat mich nicht nur auf­ge­fan­gen, sie ermög­licht mir auch Wei­ter­ent­wick­lung und För­de­rung“, berich­tet der ziel­stre­bi­ge jun­ge Mann.

Er ist einer von rund 70 Beschäf­tig­ten, die am Stand­ort Olpe in der Gün­sestras­se tätig sind. „Im Bereich der Elek­tro­mon­ta­ge sind wir sogar nur zu 14 Per­so­nen. Da geht es sehr fami­li­är zu. Das mag ich“, freut sich Atac, der eben­so wie zahl­rei­che Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen auch die Per­sön­lich­keits­för­de­rung durch die beglei­ten­den Ange­bo­te der Werk­stät­ten zu schät­zen weiß. Wech­seln­de Kurs­pro­gram­me ermög­li­chen es den Beschäf­tig­ten, gemein­sa­me Akti­vi­tä­ten zu unter­neh­men. Das Schwim­men hat es Semih Atac beson­ders ange­tan.

Werk­statt­be­trieb schafft sozia­le Teil­ha­be, Tages­struk­tur und

Ent­wick­lungs­mög­lich­kei­ten

Wie wich­tig und wert­voll die Ein­rich­tung ist, weiß Semih Atac erst seit sei­nem eige­nen Unfall. „Vor­her kann­te ich die Betrie­be nicht.“ Ihm sei nicht klar gewe­sen, wel­che viel­fäl­ti­gen Mög­lich­kei­ten Men­schen mit hohem Unter­stüt­zungs­be­darf in allen Abtei­lun­gen der Wert­h­mann-Werk­stät­ten kreis­weit erhal­ten. „Zum Glück hat mich mei­ne Fami­lie immer sup­port­et und mir den Weg zur beruf­li­chen Bil­dung dort auf­ge­zeigt.“

Die Fra­ge, wie sein All­tag aus­se­he, wenn er nicht in der Werk­statt beschäf­tigt wäre, kann Semih Atac ohne Zögern beant­wor­ten: „Dann hät­te ich kei­ne Tages­struk­tur, kein Sozi­al­le­ben, wenig Selbst­be­wusst­sein und wür­de mei­nen Eltern, bei denen ich noch woh­ne, ver­mut­lich sehr auf die Ner­ven gehen“, gibt der jun­ge Mann augen­zwin­kernd zu. „Die sinn­vol­le Tätig­keit und der Orts­wech­sel tun mir ein­fach gut. Ich bin moti­viert und stolz, wie­der arbei­ten zu kön­nen und sozia­le Teil­ha­be zu erfah­ren.“ Eine gute Fügung nach sei­nem erlit­te­nen schwe­ren Schick­sals­schlag: „Die Werk­stät­ten sind mein Chan­cen­ge­ber!“ 

Info­box:

Mit Blick auf den Ein­zel­nen Arbeit mög­lich machen:

  • Die Wert­h­­mann-Wer­k­­stä­t­­ten bie­ten seit über 50 Jah­ren Teil­ha­be am Ar­beits­le­ben für Men­schen mit psy­chi­schen und/oder geis­ti­gen Ein­schrän­kun­gen – un­ab­hän­gig ihrer Her­kunft. In der Be­ruf­li­chen Bil­dung „b.?punkt“ wer­den die er­for­der­li­chen Fer­tig­kei­ten ver­mit­telt – prak­tisch und theo­re­tisch.
  • Im Ar­beits­be­reich un­ter­stüt­zen die Ca­ri­­tas-Wer­k­­stä­t­­ten bei der ­täg­li­chen Ar­beit in der Mon­ta­ge, im Elek­tro‑, Holz- oder Me­tall­be­reich, in der Gar­ten­ar­beit, im Le­bens­mit­tel­la­den oder in der Haus­wirt­schaft – ob per Hand­ar­beit oder unter­stützt von moder­nen Maschi­nen. Dies ist in den Werk­stät­ten oder au­ßer­halb in einem Be­trieb mög­lich. Ziel ist immer: „Ar­beit mög­lich ma­chen“.
  • An den Stand­or­ten in At­ten­d­orn, Len­nestadt, Olpe und Wel­schen En­nest er­fah­ren täg­lich 670 Men­schen mit Be­hin­de­run­gen Teil­ha­be am Ar­beits­le­ben. Davon sind 47 Men­schen in den hie­si­gen In­dus­trie­un­ter­neh­men sowie bei Dienst­leis­tern tätig und wer­den re­gel­mä­ßig von den Werk­stät­ten be­treut.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Beliebte Beiträge